31.05.2005 PDF

Studiengebühren - billig ist besser

Ein Text der Gruppe "Kritik im Handgemenge" Bremen

Am 26.1.2005 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass ein Verbot allgemeiner Studiengebühren verfassungswidrig sei.


Dagegen wurden am gleichen Tag bundesweit Vollversammlungen an den Universitäten veranstaltet, worauf dann weitere Demonstrationen und Aktionen folgten. Während sich ein Teil der Studenten schon immer völlig unberührt von der Vorstellung zeigte, dass vielen Leuten faktisch das Studium verwehrt wird, haben sich mittlerweile auch viele andere mit dem Bremer Studienkonten-Modell arrangiert - teils wohl auch, weil sie sich selber für nicht mehr betroffen halten. So gibt es nur noch wenige Studierende, die tatsächlich gegen Studiengebühren protestieren wollen. Diese nehmen nun aber nicht den Staat als ihren Gegner in dieser Frage wahr, sondern appellieren mit Forderungen an einen Staat, von dem sie glauben, dass es dieser doch eigentlich besser wissen müsste. Warum das ein fundamentaler Irrglaube ist und warum es trotzdem vernünftig ist, aber nicht ausreicht, Studiengebühren zu kritisieren, wird im folgenden erläutert.


Warum der Staat ein Interesse an Ausbildung hat...

Weil der Staat eine funktionierende Nationalökonomie braucht, muss er sich um die notwendigen Vorraussetzungen kümmern, damit sich die deutschen Unternehmen in der internationalen Konkurrenz bewähren können. Jedes Unternehmen braucht zunächst Arbeitskräfte - irgendwie Arbeitskraft zu sein reicht allerdings nicht aus, spezielles Wissen befähigt zu speziellen Jobs. Die allgemeine Schulpflicht soll dafür sorgen, dass alle ein Allgemeinwissen bekommen. Dabei werden die SchülerInnen mittels Prüfungen, Noten und unterschiedlichen Schulabschlüssen einem Ausleseprozess unterzogen, an dessen Ende der Ausschluss vieler von der Möglichkeit eines Studiums steht. An den Hochschulen werden dann wissenschaftliche Kenntnisse vermittelt und ihre Anwendung erlernt. Dabei wird der eine Teil der Studierenden für Berufe ausgebildet die für eine funktionierende Produktionssphäre benötigt werden: Natur- und Ingenieurswissenschaften. Durch Geisteswissenschaften und Gesellschaftswissenschaften wird nicht nur der nationalen Selbstdarstellung und nationalen Eitelkeiten entsprochen, sondern die Bürger auch mit Ideologie versorgt, die sie zu guten Staatsbürgern bildet. Die Lehrerausbildung sorgt schließlich dafür, dass dieses Wissen auch an künftige Generationen herangetragen wird. Wie gut das funktioniert, kann man an den Studiengebühr-Protesten sehen.
Wenn Studierende:
- sich als Gesprächspartner andienen, die nur in den Dialog mit einbezogen werden wollen und nur deswegen protestieren

- als einziges Argument gegen Studiengebühren eine geringere Effizienz ihres Studiums durch zusätzliche Erwerbsarbeit anführen können

- generell nicht viel gegen Studiengebühren hätten, würden diese nur der Universität zufallen und in bessere Ausbildungsmittel gesteckt werden, dann argumentieren sie nicht für ihre jeweiligen Einzelinteressen, sondern entsprechend dem Interesse, dass der Staat bereits sowieso an ihnen hat und auch gegen sie durchsetzt: ihrer Nützlichkeit. Zudem verkünden sie damit ihren Anspruch die besseren Verwalter des nationalen Wohls zu sein und bieten als solche ganz ungefragt Vorschläge zur Verschlechterung der Situation der Studierenden an.

...und wie das noch verbessert werden kann

Auch wenn es notwendigerweise einen Bedarf an Wissenschaftlern gibt, reicht einer zu sein alleine nicht aus. Spezielle Professionen werden gewünscht. Dabei schneiden die Geisteswissenschaften aktuell eher schlecht ab und die Ingenieure besser, d.h. bei den einen gibt es einen Überschuss an verfügbaren Arbeitskräften, bei den anderen einen Überschuss an nichtbesetzten Arbeitsstellen. Trotzdem soll es aber Staatsbürger geben, die das nicht unmittelbar einsehen und sich trotzdem für Studiengänge einschreiben, an deren Absolventen absehbar kein Bedarf besteht. Um diesem Missstand abzuhelfen, sorgt der Staat qua Studiengebühren dafür, dass der gemeine Student verstärkt die Kalkulation der Wirtschaftlichkeit zur Grundlage seiner Überlegungen macht, indem er die Rechnung aufstellt: Können die Kosten des Studiums durch den Abschluss bezahlt werden?

Damit wird auch die Konkurrenz unter den Hochschulen verstärkt, die Studenten werden sich die Universitäten / Fachhochschulen entsprechend ihrer Zukunftsaussichten auswählen, nach der einfachen Kalkulation, welche denn nun den erhofften Startschuss in die Karriere am effizientesten organisieren können. Die "Qualität der Lehre" ist nur ein Punkt in dieser Kalkulation, der Ruf einer Universität ein anderer. Dabei sind die Geldmittel der Studierenden, die diese für die Ausbildung investieren können, eine feste Größe in der Kalkulation. Die Frage wird also lauten: Wie viel an Zukunft kann ich mir leisten?

Diese Konkurrenz unter den Universitäten organisiert wiederum die verstärkte Konkurrenz unter den Studierenden, da sich jene diese auswählen können und werden, nach dem Kriterium, ob sie dem guten Ruf der Bildungseinrichtung entsprechen. Für Studenten bedeutet das, sich schon weit vor der Hochschulreife auf den Ausleseprozess vorzubereiten und sich entsprechend zu positionieren.

Nicht dass dieser Prozess, bei dem Kinder mit höherem sozialen Status die besseren Startchancen haben, eine neue Sache wäre und nicht schon längst Bestandteil des deutschen Ausbildungswesens ist. Aber während bisher die schulischen Leistungen unter Beobachtung standen, wird wohl in Zukunft (so sieht es wenigstens in anderen Staaten aus) der Schüler auch in seiner Freizeit seine Nützlichkeit für die Gesellschaft unter Beweis stellen müssen - durch freiwillige soziale Arbeit, deren Nachweis später auch die Zulassung an einer bestimmten Universität mitentscheiden kann. So setzen sich Studierende und Universitäten gegenseitig unter Druck, mit dem Resultat, dass Staat und Kapital genau das Menschenmaterial vorfinden welches sie suchen.

Die Legende von der größeren Mitbestimmung ist damit gleich miterledigt, denn Zweck und Resultat der Veranstaltung stehen schon fest, bevor der erste RCDSler seine Mitbestimmung qua Verrechnungscheck in Anspruch nehmen kann. So werden vielleicht Forderungen der Studierenden auch mal entsprochen - jedoch nur dann, wenn sich das Interesse der Universität und das ihrer Studentenschaft sowieso trifft. Die Hoffnung derer, die sich die Studiengebühren leisten werden können, darauf, dass durch finanzielle Leistungen ihnen weitere Rechte von den Hochschulen gewährleistet werden, erhält auch durch einen Blick auf andere Länder alles andere als Vorschub.



Bildung ist keine Ware - ach was!

Wenn als Argument gegen Gebühren angeführt wird, dass Bildung keine Ware sei, dann haben die Protestler recht - auch wenn sie es eigentlich anders meinen. Ihr Appell zielt darauf ab, dass die Bereitstellung von Bildungseinrichtungen Staatsaufgabe bleiben und sich die Ökonomie da heraushalten solle. Einerseits kann das falsche Kapitalismuskritik sein: die Angst davor, der Kontrolle und den Interessen von Konzernen zu unterliegen, andererseits einfach Moral: Bildung ist ein edles Gut, das nicht durch irgendwelche materiellen Interessen angetastet werden dürfe. Schließlich aber formuliert sich da die Forderung nach einem Staat, der die Ausbildung kontrollieren solle, statt einer freien Wirtschaft. Dabei ist die weitere Ökonomisierung der Universitäten nur Mittel zur besseren Verwirklichung des Zwecke, den diese immer schon hatten: "Humankapital" dem Arbeitsmarkt / Staat zur Verfügung zu stellen, für das nationale Wohl. (Dagegen die hochgelobte Freiheit der Wissenschaft zu verteidigen ist albern: Sie hat auch bisher nichts anderes bedeutet, als nicht für spezielle Unternehmen, sondern entsprechend den Zwecken von Nation und Kapital Wissenschaft zu betreiben).

Bildung ist tatsächlich keine Ware, man soll sich schließlich auch in Zukunft nicht einfach Bachelor- und Masterabschlüsse kaufen können. Wenn der Staat Studiengebühren einführt und damit so etwas wie einen Bildungsmarkt simuliert, tut er dies zur Effizienzsteigerung des Ausbildungswesens. Der Staat hat nicht vor sein Monopol auf die Volksbildung aufzugeben, denn nach wie vor lässt sich durch privates Geschäftsinteresse nicht das Bildungsangebot organisieren, das die Nation braucht - durch 500 EUR pro Semester Zuzahlung durch die Studierenden lässt sich keine Universität wirklich finanzieren. Die Bereitstellung von Bildungseinrichtungen, von ein paar privaten Hochschulen mal abgesehen, ist eine Investition in die Zukunft durch den Staat, damit das Kapital auch in Zukunft noch auf qualifizierte Arbeitskräfte zugreifen kann. Dass diese Investition für den Staat immer defizitär bleiben wird, bedeutet nicht, dass sich diese nicht lohnt.

Das staatliche Jammerlied, dass die Universitäten zu teuer seien, heißt nicht, dass wirklich beabsichtigt wird direkt Gewinn am Campus zu machen. Es gibt nahezu kein Objekt staatlicher Organisation, welches gewinnbringend ist. Der Staat ist kein Unternehmen, er muss keine Gewinne machen, solange die nationale Ökonomie dies tut. Ein Objekt staatlicher Pflege ist genau dann zu teuer, wenn das Interesse daran nachlässt oder ganz verloren gegangen ist oder wenn eine andere Organisationsform sinnvoller erscheint. Eine ökonomische Notwendigkeit zu Einsparungen im Hochschulbereich gibt es nicht. Wie ideologisch die Debatte um Studiengebühren ist, zeigt sich an der Forderung nach Langzeitstudiengebühren. Langzeitstudenten stehen unter dem Verdacht faul zu sein, so dass es dem Staat sinnvoll erscheint, sie mit hohen Rechnungen vom Studium fernzuhalten. Wem aber schaden Langzeitstudenten? Da sie - so die staatliche Annahme - die Universitäten kaum nutzen, nehmen sie auch niemanden einen Platz weg, ein Schaden entsteht nicht. Auch liegen diese dem Staat keineswegs auf der Tasche, da es Bafög nur begrenzt gibt, alle Studenten aber gleichsam keinen Anspruch auf andere soziale Leistungen haben. Die dennoch derart erregt geführte Debatte zeigt vor allem, dass es dem Staat im wesentlichen um die Verpflichtung seiner Staatsbürger auf Arbeitsmoral geht. So macht dieser wieder einmal seine Bereitschaft deutlich seine Bevölkerung ihrem Zweck für den Staat nach zu behandeln.


Das Elend der Studierenden...

Nach der letzten Vollversammlung scheint das Thema Streik in Bremen nun vorerst beendet. Das liegt freilich nicht an einer möglichen Einsicht der Studierenden, dass ihre Streikideen eher wirkungslos als ernstzunehmend sind, sondern vielmehr an der geringen Zahl der Protestwilligen. Das Problem jedes Vorlesungsboykotts ist, dass er, was immer das Wort "Unistreik" suggerieren mag, kein wirkliches Druckmittel ist, weil durch die Niederlegung des Studiums kein wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird. Zudem wird die Streikidee durch Studenten lächerlich gemacht, die nur ab und zu und geregelt der Universität fernbleiben, um am Ende doch ihre Scheine abzuholen, damit sich das Studium nicht verlängert. Allerdings können die Studenten durch ihren "Streik" Aufmerksamkeit erregen, vielleicht auch Sympathien, und dann hängt es tatsächlich mal von gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen ab, ob Studiengebühren vielleicht doch verhindert werden können. Danach sieht es aber momentan nicht aus, vor allem, da das oben gezeichnete Interesse an der Einführung allgemeiner Hochschulgebühren so hoch ist.

Gemeiner allerdings als die, die mit den falschen Argumenten den Staat von dem Verzicht auf Studiengebühren überzeugen wollen und sich dabei dessen Interesse zu eigen machen, sind diejenigen, die sich vor allem darüber beklagen, dass die Studiengebühren nur Haushaltslöcher stopfen sollen und nicht den Hochschulen zufallen. Diese finden es scheinbar in Ordnung, bestimmte Leute von Studium auszuschließen, nur damit sie schließlich mehr Computer bekommen und dadurch einen Konkurrenzvorteil in der späteren Arbeitssuche.

Überhaupt ist die Kalkulation derjenigen, die sich durch Studiengebühren eine bessere Ausgangssituation in der Konkurrenz um Arbeit versprechen, eine höchst wacklige. So wird die Einführung eines "Bezahlstudiums" zwar möglicherweise zu sinkenden Studentenzahlen in den Fächern führen, deren Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten zur Zeit gering erscheinen. Andererseits kann es in "karrierefreundlichen" Studiengängen ebenso gut zu einem Anstieg kommen, eben weil die Studierenden verstärkt auf Zukunftsaussichten kalkulieren müssen. Die Hoffnung, dass durch weniger Mitstudenten und Mitbewerber die eigenen Aussichten auf Arbeit steigen, ist nicht zudem deshalb höchst spekulativ, weil es den Job, um den man sich bewerben will, dann vielleicht gar nicht mehr geben wird.

Seltsam zudem, dass keiner so richtig mit dem argumentiert, welches das eigentliche und sehr konkrete Problem der Studierenden sein dürfte: die 500 EUR und mehr Studiengebühren, die zukünftig pro Semester anfallen werden. Anstatt einfach den Unmut darüber auszudrücken, dass diese wohl jeder für etwas besseres ausgeben könnte und die viele noch nicht einmal besitzen, wird mit merkwürdigen Appellen an den Staat operiert. Die Plakate an der Universität, auf denen fett 500 EUR gedruckt steht, sind denn auch eher ein verzweifelter, an die Studierenden gerichteter Mobilisierungsversuch, als ein Argument, das sie bereit sind in die öffentliche Debatte einzubringen. So verstecken die Protestanten und Protestierenden ihr eigentliches Interesse immer hinter dem Allgemeinwohl und haben damit offensichtlich die Logik geschluckt, dass jedes Einzelinteresse immer nur dann schützenswert ist, wenn es dem nationalen entspricht. Bereits dadurch machen sie aber diesen Kampf zu einem aussichtslosen, da im Falle von Studiengebühren gerade ihr Einzelinteresse dem Allgemeinwohl entgegensteht.


... und warum sie einem doch nicht so richtig leid tun wollen

Selbstverständlich ist es ärgerlich Geld für etwas zu bezahlen, was man davor für umsonst bekommen hat. Andererseits ahnen die Studierenden, dass ihre Forderung eigentlich borniert ist: Denn wer keine grundlegende Kritik an den Verhältnissen hat, dem/der fällt dann auch auf die Frage, warum es in Ordnung ist Geld für einen Kindergartenplatz zu bezahlen, aber die Universitätsausbildung kostenlos bleiben soll, nichts gescheites ein. So fordern sie zwar Bildung für alle und zwar umsonst - das gleiche für Lebensmittel allerdings nicht!