23.03.2021 PDF

Streifschuss - richtig lustig falsch

Die neue Co-Vorsitzende der Linken, Susanne Hennig-Wellsow, hat in einem Interview etwas nicht gewusst: Auf die Frage nach den Auslandseinsätzen der Bundeswehr antwortete sie: „da muss ich ehrlich sagen, die habe ich nicht alle einzeln im Blick“. Nun ist dieses Thema von der Linkspartei seit vielen Jahren zu dem Unterscheidungskriterium zur SPD und zu den Grünen gemacht worden. Überall sonst will „die Linke“ im Wesentlichen das Gleiche, nur mehr und besser. Aber in Sachen Bundeswehreinsätze will sie, sagt sie, so richtig das Gegenteil.

Das halten ihr ihre Gegner auch gerne vor. Denn wer die Führung einer Nation übernehmen will, hat gefälligst nicht nur alle Waffengattungen, sondern auch alle Waffengänge der Nation gut zu finden, und zwar ohne Wenn und Aber. Für das Gutfinden muss man die auch nicht alle „im Blick haben“. (Und man kann übrigens auch leicht die Übersicht verlieren, wo Deutschlands Friedensmissionen waffenbewährt die Freiheit verteidigen.) Wer daran aber etwas, irgendetwas ablehnt, ist auf jeden Fall fragwürdig und sollte zumindest für jede einzelne Ablehnung einen konkreten Grund nennen können. Wer das nicht tut, ist natürlich nicht nur fragwürdig, sondern auch unglaubwürdig.

Die Presse, der Linken sowieso nicht besonders gewogen, hatte einen Festtag und die Linken-Co-Chefin nicht den besten Start.

Auch das „Streiflicht“, die Glosse auf Seite 1 der Süddeutschen Zeitung, fand das ausgesprochen lustig. Denn dass jemand an dieser herrlich eingerichteten Welt freier Völker und freier Märkte etwas anderes ändern will, als sie noch freier zu machen, ist der Süddeutschen Zeitung per se ein Anlass zum ironischen Kopfschütteln. Und dass diese Freiheit waffenmäßig garantiert geschützt und durchgesetzt werden muss, daran besteht für Liberale kein Zweifel.

Normalerweise sind im „Streiflicht“ darum häufig Kevin Kühnert und die „Cancel-Culture“ Gegenstand mehr oder minder gelungener Witzeleien: Ein SPD-Jungspund, der in fernster Zukunft eventuell und gegebenenfalls Sachen vergesellschaften will, obwohl man als Marktwirtschaftler doch weiß, wozu so etwas führt. Und Linke, die Rassismus, Sexismus, Trans- und Homofeindlichkeit nicht sportlich als interessanten Beitrag zum Diskurs nehmen und darum in ihrer mimosenhaften Snowflakeïgkeit aber auch zu putzig sind, in den Augen angejahrter liberaler Journalisten. Die Botschaft ist immer die gleiche: Linke spinnen und haben keine Ahnung von den Realitäten der Welt.

Da konnte sich das Streiflicht eine solche Gelegenheit natürlich nicht entgehen lassen.

Mit einer gekonnten Gegenüberstellung von SED (hatte Mauer, Stacheldraht, Stasi und einen Chefideologen, der wusste wo der Feind ist) und der neuen Co-Vorsitzenden der Linken (hat keine Ahnung und keine Macht) kommt die Kolumne zu folgendem Schluss: „Womöglich ist das eine moderne Form des dialektischen Materialismus: Dinge grundsätzlich abzulehnen, die man gar nicht kennt. Würde man sie kennen, wären sie ja ohnehin abzulehnen und die Mühen der Befassung mit der Materie bloße Verschwendung revolutionärer Energie. Womöglich hat die Politikerin von der Bundeswehr aber schlicht keine Ahnung, dafür aber eine umso stärkere Meinung und fügt sich so aufs Harmonischste in unsere Gegenwartsdiskurse ein.“ Wirklich lustig, wiewohl der Verdacht nahe liegt, dass liberale Journalisten von der abgelegten Staatsideologie der DDR, dem dialektischen und historischen Materialismus, noch weniger Ahnung haben, als die linke Co-Chefin von Bundeswehreinsätzen.

Nur, liberale Schmunzelmonster vom Streiflicht, eher andersherum wird ein Schuh daraus: Susanne Hennig-Wellsow ist gerade angetreten mit dem festen Bekenntnis, mit SPD und Grünen auch im Bund regieren zu wollen. Die wiederum haben seit 1999 – als deutsche Bomber in Belgrad mit für Frieden und Freiheit sorgten – klargemacht, dass wer Deutschland führen will, auch Kriege führen wollen muss. (Falls gerade keiner zur Hand sein sollte, was aber eher unwahrscheinlich ist, soll das Bekenntnis zur Bereitschaft auch ausreichen). „Revolutionäre Energie“ wäre dabei sicherlich hinderlich.

Nicht also weil Hennig-Wellsow staatliche Gewaltapparate „grundsätzlich ablehnt“, wie das weltfremde linke Dogmatiker*innen mit anerkannten Notwendigkeiten dieser schönen Weltordnung tun, kann sie die Einsätze nicht aufzählen, was übrigens auch noch kein Wissen über Gründe, Zwecke und Verlaufsform militärische Durchsetzung nationaler Interessen bedeuten würde. Eher im Gegenteil ist ihr das Ideal, Imperialismus sei auch ohne Bundeswehrbeteiligung und -betätigung zu haben, nicht wichtig genug gegenüber dem Projekt einer „linken Mehrheit“ mit SPD und Grünen.

Wer mit SPD und Grünen regieren will, dem*der kann eine Welt ohne Krieg gerade nicht das wichtigste aller Anliegen sein. Und womöglich hilft es da sogar, sich nicht allzu gut auszukennen. Das gibt am Ende weniger Streit, wenn zwischen Frieden und Koalitionsfrieden entschieden werden muss.