Der folgende Leserbrief wurde im Zuge der Veröffentlichung des Artikels "Zur Psychologisierung von Nationalismus" in der Zeitschrift gai-dao abgedruckt (dort findet sich auch ein Kommentar der Gaidao-Redaktion zu dem Leserbrief). Unten findet sich unsere Antwort.

Gegen den Isolationismus der Gruppen gegen Kapital und Nation

Wenn Nationalismus in der demokratischen Öffentlichkeit zur Sprache kommt, liegt meist eine Unterscheidung zu Grunde, die teils auch extra benannt wird. Patriotismus sei die gute, gesunde Parteilichkeit für die eigene Nation, Nationalismus dagegen der schlechte, übersteigerte Fanatismus. Sachlich betrachtet ist diese Gegenüberstellung unbegründet. Tatsächlich macht Patriotismus und Nationalismus inhaltlich dasselbe aus, nämlich das prinzipielle Dafür-Sein für das Kollektiv, dem man angehört, obwohl man es sich nicht ausgesucht hat.

Und weiter lesen wir:

Der Unterschied besteht tatsächlich in der Radikalität oder Ausprägung dieses Dafürhaltens. Wie sollte aber dieselbe Grundeinstellung einmal lobenswert und gut, bei stärkerer Ausprägung aber schlecht und verkehrt sein?

Seit Jahrhunderten weiß man in der Medizin: ein und dergleiche Stoff kann in geringer Menge heilende Wirkung entfallten, in zu großer Menge dagegen verabreicht ist er schädlich – weshalb sollte dies nicht auch für menschliche Haltungen gelten? Insbesondere, da eben nicht Radikalität oder Ausprägung des Dafürhaltens, sondern Indentifikation, dieses Dafürhalten zur fixen Idee, ohne die man nicht sein zu können glaubt, und Ausgangspunkt des eigenen Selbstbildes zu machen, Gegenstand des Nationalismus ist.

Der Patriot identifiziert sich nicht vollständig mit der Nation, sondern meist nur mit einigen als positiv erkannten Strömungen der Nation; er ist ein Befürworter und Gegner der Nation, Befürworter der Nation in ihren von ihm als positiv anerkannten Entwicklungen und gleichzeitig ihr Gegner, wenn z.B. der Fremdenhass oder der Antisemitismus in der Nation sein hässliches Gesicht erhebt. Der Nationalist dagegen hat kein eigenes Selbstbewußtsein, sondern das nationale Wir der Kollektivität sowie ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Größe ersetzt sein Selbstbewußtsein. Jeder Angriff auf die Nation ist für den Nationalisten daher ein Angriff auf ihn selbst, jeder Sieg seiner Nation ein Sieg seiner selbst, weil er sich bis zur völligen und totalen Selbstaufgabe mit dem Wir seiner nationalen Kollektivität identifiziert.

Oft wird das begründet damit, dass Patriotismus die Liebe zu den Seinen, Nationalismus der Hass auf die anderen wäre. Da der Unterschied zwischen beiden aber nur ein gradueller ist, gehört schon zum Patriotismus sowohl die Aufwertung der eigenen Nation als auch die Herabsetzung von dem, was nicht dazugehört. Die Herabsetzung und damit die praktische Tätigkeit gegen die Nichtdazugehörigen ist im Patriotismus angelegt. Parteilichkeit für etwas heißt, dass man das davon Abgegrenzte in einem schlechteren Licht sieht.

Klar und eindeutig werden hier patriotische Menschen mit Nationalist*innen in einen Topf geworfen; man will gerade noch graduelle Unterschiede in der “praktischen Tätigkeit gegen die Nichtdazugehörigen” anerkennen, indem die Patriot*innen ihren Hass verbergen, die Nationalist*innen jedoch ihn offen ausleben. Es war also der Hass und im wesentlichen die “praktische Tätigkeit gegen die Nichtdazugehörigen”, die dänische Patrioten dazu veranlasste, im von der deutschen Wehrmacht besetzten Dänemark am Abend vor ihrer drohenden Deportation nach Auschwitz und Bergen-Belsen 7 000 Juden in Ruder- und Fischerbooten quer durch die deutschen Linien ins neutrale Schweden zu schaffen? Vielen Dank, Genossen und Genossinnen, ohne Eure tiefschürfende Analyse hätte ich das niemals erkannt. Ganz offensichtlich sind ja auch die Juden und Israelis auf diese dänischen Patriot*innen, die sich nur graduell von ihren Verwandten an der Rampe in Auschwitz unterschieden, hereingefallen, als sie dem dänischen Volk einen Baum im Garten der Gerechten pflanzten.

Mal völlig unabhängig davon, ob diese holzschnittartige Analyse nun den Nagel auf den Kopf trifft oder doch zu viele Elemente der Wirklichkeit einfach ausblendet – wir sollen also ernsthaft patriotische Menschen, die Goethe, Schiller und Mathias Claudius schätzen, den Nationalsozialismus aber ablehnen und besorgt sind über eine Entwicklung ihrer Nation zu einem neuerlichen Faschismus oder Nationalsozialismus, gegen die Nazis mobilisieren, indem wir ihren Patriotismus mit dem Nationalismus der Nazis gleichsetzen?! Wie soll ein breites gesellschaftliches Bündnis im Sinne des Antifaschismus von Anarchist*Innen über Die Linke, SPD bis zur Jungen Union möglich werden, wenn wir unseren Verbündeten unterstellen, als Patrioten nur verlogene Nazis zu sein, die es lediglich aus viellerlei Gründen nicht wagen, ihren Hass auf Ausländer und Inländer anderer Nation und Herkunft auszuleben? Diese Analyse läßt keine Bündnismöglichkeit offen und führt zur völligen gesellschaftlichen Isolation des Anarchismus.

Dass die Gegenüberstellung von Patriotismus und Nationalismus keine inhaltliche Grundlage hat, sieht man daran, dass nationalistische Taten in der Öffentlichkeit nicht in ihrem politischen Gehalt kritisiert werden, sondern ersatzweise z.B. mit dem Pauschalurteil „Extremismus‟ belegt werden. Einerseits werden die unerwünschten Auswirkungen von Nationalismus erkannt und teils auch benannt (auch wenn Gewalt von Rechts oft nicht oder nicht als solche benannt wird). So war z. B. im Fall des NSU nicht zu leugnen oder totzuschweigen, dass Faschisten Menschen gezielt umgebracht haben. Andererseits wird die politische Motivation an nationalistischen Gewalttaten nicht gesehen. Ihnen wird nicht nur die Rechtmäßigkeit abgesprochen, sondern dass sie durch ihre Gewalt überhaupt einen politischen Willen äußern. Wird dieser aber einmal in seinem Inhalt betrachtet, stellt sich heraus, wie er aus der erwünschten und verbreiteten Bejahung der hiesigen Verhältnisse hervorgeht. Die entgegengesetzte Bewertung von Patriotismus und Nationalismus folgt also nicht einer Untersuchung, was beides ist, sondern resultiert aus dem Interesse, die unerwünschten Resultate von der zu Grunde liegenden Einstellung zu trennen.

Die Behandlung rassistisch motivierter Taten in der BRD und früheren DDR nicht als politische Willensäußerung, sondern als “Rowdytum” ist kein zwingender Beweis dafür, daß einer Unterscheidung zwischen Patriotismus und Nationalismus jegliche Grundlage fehle; hier könnten eine Vielzahl anderer Gründe angeführt werden, so z.B. die Behandlung des Holocaust in rechten Kreisen als singuläre Ausnahme und Unfall der deutschen oder europäischen Geschichte und daraus resultierend den politischen Unwillen, wahrzunehmen, daß ein rassistischer Faschismus – legitimiert durch die Demokratie wie derzeit in Ungarn – jederzeit wieder möglich ist. Oder im Falle der früheren DDR die Definition des “besseren Deutschland” als antifaschistisch, in der eine Begeisterung für rassistische Ideologien durch eine flächendeckende, allen Menschen vermittelte Staatsbürgerkunde an Schulen und Universitäten angeblich auszuschließen gewesen sei.

Ich erkenne keine Strategie, die Resultate des Nationalismus von ihren Ursachen zu trennen. Sondern eine Analyse der Sachlage faschistischer Gewalt durch die NSU in der Bundesrepublik darf meiner Meinung nach nicht die politische Interessenübereinstimmung zwischen gewalttätigen Faschisten und dem regierenden Establiment in der Tagespolitik übersehen. Im Fall der NSU geht es dem Verfassungschutz und den Geheimdiensten des Staates darum, die eigene Beteiligung als Geldbeschaffer und Sprengstoff- sowie Waffenlieferant durch V-Leute und BND-Mitarbeiter als ideologische Köpfe und Anleiter des NSU-Trios zu verschleiern; aufgrund der Ergebnisse der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse und der Befragung von Zeugen im münchner NSU-Prozess kommt sogar das Zweite Deutsche Fernsehen zum Ergebnis, daß hier eine rechte Terrorzelle im europäischen Netzwerk von Blood & Honor mit Steuermitteln aufgebaut wurde – und das der Schutz dieser Mitarbeiter staatlicher Dienste in der ideologischen Führung und Unterstützung der NSU, von Undercoveragenten der BRD, die sich als Nazis in der Scene durch besondere Härte und Radikalität auszeichnen mußten, um nicht als Spitzel aufzufallen, es der NSUimmer wieder ermöglichte, neue Terrorakte zu begehen.

Eine andere Terrorzelle von Blood & Honor flog im Jahr 2000 medienwirksam auf, nachdem die Kameraden vom berliner Verfassungsschutz ein Gewehr mit Zielfernrohr erhalten hatten, aber noch keinen Terrorakt durchführen konnten; obgleich der Generalstaatsanwalt seinerzeit von einer neuen Qualität in der faschistischen Scene durch die Entwicklung terroristischer Strukturen sprach, wurde den vorliegenden Hinweisen im sichergestellten Material sowie in den Berichten des Undercoveragenten des berliner Verfassungsschutzes auf die NSU jahrelang nicht nachgegangen. Es kann nur vermutet werden, daß die direkt oder indirekt von staatlichen Diensten geleitete NSU sich selbst erledigte, als sie sich mit ihrem Mord an zwei Polizeimitarbeitern gegen die Hand wendete, die sie all die Jahre zuvor fütterte. Es wäre nicht das erste Mal, daß ein europäischer Staat die Gewaltbereitschaft politischer Gruppen fördert und nutzt, um die Existenz seiner Repressionsorgane zu legitimieren – und im vorliegenden Fall zum einen ein konkurrierendes Establishment mit Migrationshintergrund zu diskreditieren und zum anderen die Zahl der Asylanträge herunter zu fahren.

Die Gruppen gegen Nation und Kapital legen ihrerseits keine Analyse vor, die untersucht, was Patriotismus und Nationalismus im Spiegel aller der im deutschen Sprachraum anzutreffenden unterschiedlichen Nationen sowie nationalen Selbstdefinitionen ist, sondern pauschalisieren meiner Meinung nach die Deutsche des Vormärz als allein gültige Selbstdefinition. Eine Nation, die sich selbst über Herkunft oder Abstammung definiert, grenzt unbestritten in ihrem Nationalismus alle aus, die nicht über die notwendige Abstammung verfügen; in einer in dieser Weise definierten Nation wird auch der Patriotismus in abgeschwächter Form alle Menschen als nicht der Nation zugehörig ab- und ausgrenzen, die die eingeforderte Abstammung zur Zugehörigkeit nicht mitbringen.

Jetzt hätte man, um zu erfahren, was Patriotismus und den Nationalismus ausmacht, erst einmal untersuchen müssen, ob sich das nationale Verständnis der Bundesrepublik, der Schweiz, Österreich oder der in diesem Raum lebenden nationalen Minderheiten sowie nationalen Volksgruppen ohne Staat an einer Definition der Nation über die Abstammung orientiert oder nicht. Schließlich ist die Gaidao ein Blatt im deutschsprachigen Raum, der über die Bundesrepublik hinausreicht. Die geäußerte Kritik der Gruppen gegen Nation und Kapital ist zutreffend, wenn sich das nationale Verständnis im deutschsprachigen Gebiet seit 1815 nicht verändert hat und sich an der deutschen Abstammung orientiert; die Kritik geht jedoch weitgehend fehl, wenn damit Nationen beschrieben werden sollen, die sich über einen gemeinsamen Staat, einen gemeinsamen Freiheitskampf, eine gemeinsame Rechts- oder Volks-Kultur und daher nicht mehr oder niemals an einer Abstammung als Moment der Zugehörigkeit zur Nation orientiert haben.

Im ersten Teil des Artikels “Zur Psychologisierung des Nationalismus” psychologisieren die Autor*innen Patriotismus und Nationalismus ihrerseits, indem sie beiden in all ihren Variationen zwangsneurotische Züge unterstellen, Nichtdazugehörige zu verfolgen und fremde Kulturen abzuwerten. Im zweiten Teil kritisieren sie “die Psychologie” – als sei diese ein monolitischer Block und nicht ein Geflecht geisteswissenschaftlicher unterschiedlicher Theorien, Richtungen und Konzepte – und verwahren sich gegen jede Psychologisierung von Patriotismus und Nationalismus.

Es ist niemals gut, anderen genau das vorzuwerfen, was man selbst betreibt. Denn es läuft auf genau jene Psychologisierung hinaus, die die Autor*innen des hier kritisierten Artikels anderen Menschen vorwerfen, aus der Zugehörigkeit zu einer Nation psychologische Zwänge abzuleiten. Entweder gilt der freie Wille, wodurch es eine klare Entscheidung auch gegen evtl. strukturell vorhandene Anlagen zur Abwertung anderer Kulturen ist, als Patriot anderen Kulturen neutral zu begegnen – oder wir haben es mit einer Regel zu tun, die uns diese Wahl nicht läßt.

Da man das Christentum trotz seiner strukturellen Antisemitismen auch ohne Judenhass zu predigen in-terpretieren kann, bin ich ziemlich sicher, daß es die von den Gruppen gegen Nation und Kapital als zwingend behauptete Abwertung anderer Kulturen im Patriotismus in einigen Varianten von diesem in der Wirklichkeit nicht gibt.

von einem Alt-Anarchist im FdA

Zum Zusammenhang von moderatem und radikalem Nationalismus

Werter Alt-Anarchist,

 im Folgenden wollen wir auf deinen Leserbrief zum Artikel „Zur Psychologisierung von Nationalismus‟ eingehen.

 Du bezweifelst die in dem Artikel behauptete Gemeinsamkeit von Patriotismus und Nationalismus. Im Artikel steht, dass Nationalismus der gesteigerte oder radikalisierte Patriotismus sei; dagegen meinst du, da gibt es qualitative Unterschiede: Nationalisten identifizieren sich komplett mit der Nation als Ersatz für ein eigenes Selbstbewusstsein, Patrioten identifizieren sich mit dem Guten der Nation und sind zugleich Gegner derselben, z.B. wo Fremdenhass sein häßliches Gesicht zeigt. Zu diesen Punkten ausführlich siehe unten. Zuerst wollen wir auf ein Argument eingehen, mit dem du deine Position untermauerst, und das bereits im Titel anklingt, in dem du ankündigst, „gegen den Isolationismus der Gruppen gegen Kapital und Nation‟ zu schreiben.

Zitat aus deinem Brief: „[...] wir sollen also ernsthaft patriotische Menschen, die Goethe, Schiller und Mathias Claudius schätzen, den Nationalsozialismus aber ablehnen und besorgt sind über eine Entwicklung ihrer Nation zu einem neuerlichen Faschismus oder Nationalsozialismus, gegen die Nazis mobilisieren, indem wir ihren Patriotismus mit dem Nationalismus der Nazis gleichsetzen?! Wie soll ein breites gesellschaftliches Bündnis im Sinne des Antifaschismus von Anarchist*Innen über Die Linke, SPD bis zur Jungen Union möglich werden, wenn wir unseren Verbündeten unterstellen, als Patrioten nur verlogene Nazis zu sein, die es lediglich aus viellerlei Gründen nicht wagen, ihren Hass auf Ausländer und Inländer anderer Nation und Herkunft auszuleben? Diese Analyse läßt keine Bündnismöglichkeit offen und führt zur völligen gesellschaftlichen Isolation des Anarchismus.

Daraus wird deutlich, dass uns ein zentraler Punkt trennt. Du hast das Ziel von breiten antifaschistischen Bündnissen von Anarchist*innen bis zur Jungen Union, also der Jugendorganisation der Partei CDU. Als antifaschistisches Mittel siehst du die Zusammenarbeit mit linken Organisationen und bürgerlichen Parteien bis zum konservativen Spektrum. Das Seltsame ist, dass du uns dieses Anliegen als Argument gegen unsere Analyse präsentierst: Wenn unsere Analyse des Nationalismus, wie sie in den zwei Absätzen wiedergegeben ist, zutrifft, dann wird es nichts mit breiten Bündnissen und folglich deines Erachtens auch nichts mit dem Antifaschismus, wie du ihn dir vorstellst. Unter anderem deswegen sei unsere Analyse falsch oder zumindest unbrauchbar.

Damit setzt du ein praktisches politisches Interesse voraus, von dem aus du unseren Artikel begutachtest. Zum ersten geht dieses Argument der hinfälligen Bündnisse ins Leere, da wir dein Interesse aus bestimmten Gründen nicht teilen, wie im Folgenden noch klar werden soll. Zum zweiten ist für die Auseinandersetzung zwischen uns zentral, dass wir uns mit diesen unterschiedlichen Voraussetzungen gar nicht einig werden können. Solange dir wichtig ist, dich mit deinen politischen Ansichten nicht zu „isolieren‟, du also anschlussfähig bleiben willst, muss auch der Patriotismus, an den du anknüpfen willst, noch irgendwas Gutes haben. Für dich stünde immer schon die Trennung von Nationalismus und Patriotismus fest, da du mit Leuten aus dem Parteienspektrum gerade in ihrem Patriotismus gemeinsame Sache gegen Nationalisten machen willst, auch wenn dich dann andere Überzeugungen von den Patrioten trennen mögen.

Unser Ziel ist nicht, „ernsthaft patriotische Menschen, die Goethe, Schiller und Mathias Claudius schätzen, den Nationalsozialismus aber ablehnen‟ gegen Nazis zu mobilisieren. Unser Ziel ist, Leute davon zu überzeugen, dass Nation bedeutet, dass Menschen staatlicher Herrschaft untergeordnet sind, dass diese die Leute in knallharte Konkurrenz bringt – sowohl die Leute in den Ländern untereinander als auch letztere untereinander – und dass es dabei um die Nation als Standort zur möglichst profitablen Kapitalverwertung geht, was ziemlich schlecht für die Leute ist. Sich positiv zur Nation zu stellen und dieses unvernünftige Zwangskollektiv zu seiner Sache zu erklären, ist also ganz prinzipiell eine Idiotie, insofern kritisieren wir jeden Patriotismus.

Diese und andere Ansichten haben wir nicht danach ausgewählt, ob sie uns bündnisfähig machen oder nicht. Wir halten sie (ganz unbescheiden) für zutreffende Bestimmungen der Verhältnisse. Aus ihnen ergibt sich für uns die praktische politische Aktivität, z.B. das Eingehen oder nicht-Eingehen von Bündnissen. Umgekehrt, gesellschaftliche Analysen davon abhängig zu machen, wie die praktische politische Aktivität aussehen soll, ist verkehrt. Wenn vorher schon feststeht, was man doch irgendwie für gut befinden muss im demokratisch regierten Kapitalismus, damit man sich nicht isoliert, wird Theorie zum taktischen Mittel. Das ist für linke Politik deswegen schlecht, weil man nur mit einem richtigen Verständnis von dem, womit man es zu tun hat, effektiv Veränderungen bewirken kann.

Unser Text behauptet: das, was Nationalisten vertreten und Faschisten zum rücksichtlosen politischen Programm machen, geht aus der patriotischen Einstellung hervor. Du behauptest dagegen, dass Patriotismus mit demokratischen Werten wie Toleranz und Pluralismus praktisch andere Resultate zeitigt, also doch auch eine gute Sache wäre. Soweit stimmt es, tatsächlich gibt es die Bejahung der Nation auch ohne rassistische Übergriffe: Tausende von Fußballfans schauen sich WM-Spiele an, feiern sich dabei selbstbewusst als Volk und bejahen so die Verhältnisse, die sie am nächsten Tag vor das Problem stellen, wieder fit bei der kaputtmachenden Arbeit zu sein – all das ohne massenhaft gewalttätig zu werden gegen Ausländer_innen. Wenn „ausländische‟ Spieler in der deutschen Nationalmannschaft ordentliche Leistung bringen, werden sie dort sogar als ordentlich leistungsbringende Ausländer gewürdigt. Nur heißt das nicht, dass die Überzeugungen, mit denen Rechte auf die „Schädlinge‟ der Nation losgehen, vom Ausgangspunkt nicht auch die Liebe zur Nation haben, die Patriotismus ausmacht. Das wird auch daran erkenntlich, dass man jemanden die Liebe zur Nation vorhalten kann, um sie_ihn zum Einsatz gegen „Schädlinge‟ der Nation zu bewegen.

Die Befürworterinnen „ihrer‟ Nation nehmen Nationalität als quasi-natürliche Eigenschaft der Menschen. Der Staat, der den wirklichen Zusammenhang zwischen den Angehörigen einer Nation durch die Unterordnung unter seine Gewalt erst schafft, sei die politische Realisierung des Volkes. Entsprechend werden Volk und Staat als Einheit gesehen. Das „Wir‟, das mensch in öffentlichen wie privaten Stellungnahmen zu allen möglichen gesellschaftlichen Vorgängen vernimmt, ist genau das: die Idee der selbstverständlichen und bejahenswerten Einheit von Volk und Herrschaft. Anders als durch die Ideologie der vorstaatlichen Nationalität kann man auch kaum darauf kommen, das Kollektiv, zu dem zufällig irgendwo geborene Menschen per Herrschaftsakt zugeordnet werden, für eine ausgezeichnete Schicksalsgemeinschaft zu halten.

Dieses „Wir‟ ist dabei Ausgangspunkt, das sich in den jeweiligen Ideologien die Rechtfertigungen z.B. über Abstammung, Kultur oder Sprache sucht. Du schreibst, dass wir erstmal hätten untersuchen müssen, „ob sich das nationale Verständnis der Bundesrepublik, der Schweiz, Österreich oder der in diesem Raum lebenden nationalen Minderheiten sowie nationalen Volksgruppen ohne Staat an einer Definition der Nation über die Abstammung orientiert oder nicht‟. Andernfalls sei das mit der Vaterlandsliebe nicht so schlimm und diese wahrscheinlich nicht so rassistisch. Damit verkennst du den Stellenwert des „nationalen Verständnisses‟, also dem was sich Leute heranziehen, um „ihre‟ Nation als naturgegeben und lobenswert hinzustellen. Es ist nicht so, dass erst eine Prüfung stattfände, was die Menschen im Volk denn eigentlich eint, oder von deren Ergebnis gar die Zustimmung zur Nation abhängig gemacht würde. Deutsch- oder was-auch-immer-sein und dass das ne tolle Sache ist steht fest und sucht sich Rechtfertigungen. Die Ideologien von gemeinsamer Kultur usw. lassen sich entsprechend zumeist leicht als verkehrt nachweisen – das interessiert jedoch kaum einen Nationalisten. Auch die rassistische Sortierung wird nicht abhängig gemacht von der ideologischen Rechtfertigung; diese sind stattdessen herangezogene Begründungen für ein Sortierungsprogramm, das sich aus anderen „Kalkulationen‟ ergibt. Das heißt nicht, dass man es sich sparen kann, nationalistische und rassistsiche Ideologien zu widerlegen. Nur ist es ein Fehler zu meinen, dass sich Nationalismus und Rassismus aus diesen ergeben oder grundlegend von ihnen abhängig wären. Das Umgekehrte ist der Fall.

Die Nation mit all ihren Gegensätzen von Konkurrenz und Klassen ist der nationalistischen Ideologie zufolge eine große Arbeitsteilung. Zu dieser müsse jeder quasi arbeitsteilig seinen Teil beitragen, was bedeutet, Opfer zu bringen. Darin ist die nationale Moral angelegt, jede und jeden danach zu beurteilen, inwieweit er_sie ein Teil zum großen Ganzen beiträgt. Ein Großteil der Skandalmeldungen in den Medien drehen sich daher um das Vergehen an dem nationalen Wohl, wenn Leute – gar noch unter Ausnutzung anderer fleißiger und ehrlicher Bürgerinnen – nur an das eigene Wohl und nicht an das „große Ganze‟ gedacht haben. Passend zur Ideologie der naturgegebenen Nation und der Realisierung des Volkes durch den Staat steht eine Sache erstmal fest: Ausländer gehören „eigentlich‟ woanders hin, d.h. stehen unter Verdacht, sich nicht für das „fremde‟ nationale Kollektiv einzubringen, wie das für das Land wünschenswert wäre. Prinzipiell hätten Inländer ein Vorrecht auf Leistungen des Staates; staatliche Leistungen für Ausländer_innen werden als mit Vorbehalt bedachter Akt der Großzügigkeit betrachtet – schließlich sei der Staat gar nicht „ihrer‟.

Diese Ideologien teilen moderate Nationalisten, also Patrioten, mit radikalen Nationalisten. Unterschiede machen sie dabei, welchen Stellenwert sie den privaten gegenüber den nationalen Interessen zumessen und andererseits damit verbunden inwieweit sie „andere Werte‟ wie Pluralismus und Toleranz gelten lassen. Wo du qualitativ zwei verschiedene Sachen ausmachen willst, handelt es sich um einen Übergang innerhalb der Vorstellung der arbeitsteiligen Gemeinschaft Nation: Einmal werden die privaten Interessen, also das Schauen auf das eigene Wohl, anerkannt, ohne dass damit die Notwendigkeit des opferbereiten Einbringens für die Nation durchgestrichen wäre. Beim radikaleren Nationalismus bis hin zum Faschismus wird die Nation als das Ein-und-Alles gesehen; sämtliche Interessen sind nur berechtigt, soweit sie ihr dienen. Jedes andere Interesse gilt da sogleich als ungehöriger Egoismus, an dem die Nation zugrunde geht. Daraus folgt, dass gegen die, die als Schaden für die Nation ausgemacht werden, rücksichtslos durchgegriffen werden müsse.

Ein radikaler Nationalismus ist also tatsächlich nicht vereinbar mit Pluralismus und Toleranz. Mit ihm wird anhand des Maßstabs Dienst-an-der-Nation beurteilt, was bzw. wer erwünscht ist und wer nicht. Allerdings gehören auch zum moderaten Nationalismus Pluralismus und Toleranz allenfalls äußerlich dazu. Sie stehen als Maximen neben dem so „gebändigtem‟ Nationalismus. Das zeigt sich daran, dass der Staat sie immer wieder predigen und zum Lernprogramm machen muss. Denn einerseits will der Staat Parteilichkeit für die Nation und die Vorstellung von der Selbstverständlichkeit des Dienstes an ihr. Andererseits ist ihm der radikale Übergang zu (gewalttätigem) Rassismus einiger seiner dienstbereiten Bürger unerwünscht: mit ihm wird nicht nur das staatliche Gewaltmonopol verletzt, er ist außerdem ein Schaden für das Ansehen des Landes und für das Funktionieren der Gesellschaft, insofern auch die vom Staat gewollten Ausländer ihren Dienst an Kapital und Gemeinwesen erfüllen sollen.

Aus dem Bisherigen geht hervor, dass in den herrschenden Debatten Nationalismus nicht in seinem Inhalt gefasst wird, denn damit würde gerade die herrschaftlich erwünschte – weil zum Mitmachen bei Kapitalismus und Nation passende Geisteshaltung – kritisiert. Das ist These in dem Artikel „Zur Psychologisierung von Nationalismus‟. In dem Artikel wird zusammenfassend gezeigt, wie zu den herrschenden Ansichten über Nationalismus die Wissenschaft Psychologie passt, nämlich indem sie ausgerechnet von dem absieht, was vor allem enttäuschte Anhänger der nationalen Gemeinschaft antreibt, wenn sie den unerwünschten radikal-nationalen Übergang in Wort und Tat zu abnormen psychischen Mechanismen verklärt.

Dein Einspruch, dass doch gerade Patrioten auch mal aktivierbar gegen Fremdenhass sind, scheint zunächst gegen die Gemeinsamkeit von Patriotismus und Nationalismus zu sprechen. Die patriotische Geisteshaltung in ihren Überzeugungen betrachtet macht aber klar, dass es kein Widerspruch ist, dass moderate Nationalist_innen unter anderem aus Sorge um das Ansehen ihrer Heimat, sei es der Ort, die Region oder das Land, gegen den Fremdenhass der radikalen Nationalisten aktiv werden können. Es handelt sich eben um einen Übergang, wenn aus der vaterlands-bejahenden Einstellung der Schluss gezogen wird, dass nicht ausreichend gegen die „Schädlinge‟ der Nation durchgegriffen wird. Dieser Übergang ist nicht notwendig und wird nicht von allen Leuten gemacht. Kommen Leute aber zu diesem Schluss, z.B. weil sie die Härten der doch eigentlich lohnversprechenden Gemeinschaft in ihren eigenen Existenzbedingungen registrieren, dann wird aus Festhalten an der Nation und dem, was mensch sich darüber denkt, die Suche nach Schuldigen. Die Ablehnung der nicht-Dazugehörigen ist die andere Seite der Medaille der Bejahung der Nation.

Nicht nur darum agitieren wir gegen jeglichen Patriotismus. Bereits der Einschluss in das nationale Kollektiv ist ziemlich ungemütlich. Er fordert die Unterordnung und den Dienst an einem Kollektiv, das objektiv besehen zu was völlig anderem da ist, als Leuten, die sich für „ihr‟ Land ins Zeug legen, einen „gerechten‟ Lohn zu bieten, geschweige denn Leuten ein angenehmes Leben zu bereiten. Staaten verschreiben sich der kapitalistischen Ökonomie, dazu nehmen sie Land und Leute in Dienst. Darüber kommen so absurde Resultate raus, wie dass die Fähigkeit, mit immer weniger Aufwand immer mehr Sachen zu produzieren, zu Massenentlassungen und Armut von Leuten gerade auch in den Gewinnerländern der Konkurrenz führt. Wenn dieser Irrsinn endlich ein Ende haben soll, müssen Leute, die dabei aus patriotischer Überzeugung mitmachen, über die Verhältnisse aufgeklärt und von ihrem Patriotismus abgebracht werden. Darum geht es uns. Dafür halten wir bürgerliche Bündnisse gegen Fremdenfeindlichkeit für wenig geeignet, denn in denen geht es auch immer um die Selbstbestätigung als ihrem löblichen Gemeinwesen verantwortungsvoll zugewandten Bürgern. Gegen die Abwehr von Nazis, die z.B. Stadtviertel zur „ausländerfreien Zone‟ machen wollen, kann Aktivität in diesen Bündnissen allerdings sinnvoll sein, dann aber bitte ohne dass mensch dort Leute in ihrem Patriotismus für Mitarbeit gewinnen will. Denn diese Geisteshaltung ist der Boden, aus dem der Fremdenhass hervorgeht.

 

Gruppen gegen Kapital und Nation