Der folgende Leserbrief zu unserem Text „NPD-Aufmarsch verhindern, Deutschland bekämpfen“ aus dem Jahr 2007 erreichte uns Mitte April 2014.Leider wurde im Kontaktformular nicht angekreuzt, dass wir ihn veröffentlichen dürfen. Da aber keine mailadresse hinterlassen wurde, der Leserbriefschreiber aber explizit um eine Antwort gebeten hat, gehen wir davon aus, dass schlicht vergessen wurde, uns zu erlauben, den Text zu veröffentlichen. Sollten wir hier fehlgehen und der Leserbriefschreiber dies lesen, bitte schnell eine mail, dann löschen wir den Eintrag. Den Namen haben wir geändert.

Der Leserbrief:


Liebe Gruppen gegen Kapital und Nation, ihr, beziehungsweise eine eurer Bündnisgruppen schreibt in einem Text:

"Wenn Antifaschisten diese Gesellschaft gegen ihre radikalen Fans verteidigen, dann schützen sie jene Verhältnisse, die die ganze Zeit über Faschisten hervorbringt. Und das ist nicht nur theoretisch falsch, sondern politisch dumm."

Normalerweise lese ich eure Artikel gerne, aber der hat mich schon sehr verärgert. Was soll das denn eigentlich heißen? Wollt ihr denn "der" Antifa damit wirklich unterstellen, dass sie diese Verhältnisse schützt, wenn sie gegen Nazis auf die Straßen geht - und wenn nicht, wie ist diese Aussage dann zu verstehen oder nennt ihr gar bürgerliche Buntbündnisse Antifaschisten?
Soviel nämlich muss doch schon klar sein: Man muss Rückgrat zeigen, das heißt: sich und andere offensiv gegen Nazis verteidigen. Gruppen, die das mehr oder weniger erfolgreich machen unter solch einen Verdacht zu stellen ist ziemlich gemein. Antifa ist notwendig und das hat ein jeder Linker außer dogmatischen Elfenbeinturmbewohnern kapiert. Ist es nicht selbst "dumm" von
Antifaschisten so zu sprechen, als wären diese ein Verein? Bekennen sich nicht gerade die meisten Antifagruppen zu einem radikalen Antikapitalismus? Mit einer solchen Aussage, einem solchen (falschen) Verdacht - bestreitet ihr das nicht nur, sondern macht euch ziemlich unbeliebt. Ist das politisch schlau?

Den teils unsachlichen Ton verzeiht bitte. Auf eure Antwort gespannt ist,
Toni, ein Antifaschist

Hallo Toni,

Du kritisierst den Schlusssatz eines Flugblattes aus dem Jahr 2006, das anlässlich einer Blockade gegen eine NPD-Demo verteilt wurde. (Im übrigen war kürzlich in Berlin der Kongress „Antifa in der Krise?!“ Dort haben wir ein Flugblatt verteilt, das inhaltlich in die gleiche Richtung geht: „Thesen zum Rechtsruck in Europa“.

 

Erstens: Die Bremer Gruppe hat damals gesagt, „wenn Antifaschisten“ das und das machen, schießen sie sich ins eigene Bein. Und damit ist nicht zugleich gesagt: Alle Antifaschisten machen das.

 

Zweitens: Das Flugi spricht von „Antifaschisten“ und nicht von Antifas. Antifaschismus hat eine größere Tradition als das, was man herkömmlich unter Antifagruppen in Deutschland versteht. Es gab und gibt gewerkschaftliche, sozialdemokratische und auch christlich inspirierte Antifaschisten. Aber der Schlusssatz war nicht nur an die GEW, die IG Metall und die kirchlichen Träger adressiert, die damals in der großen Blockade-Demo mitmarschiert sind. Er war im Zusammenhang mit all den Ausführungen in dem Flugblatt durchaus auch an klassische Antifas gerichtet.

 

Drittens: Du bestreitest, dass das im Schlusssatz aufgestellte hypothetische Urteil überhaupt irgendwie auf die Praxis von den meisten Antifas zutreffen könnte, weil „die meisten Antifa-Gruppen sich zu einem radikalen Antikapitalismus bekennen.“ Ist es aber nicht möglich, dass Leute sich zu einer Sache bekennen, was sie dann aber machen, das Gegenteil bewirkt? Das ist uns als Organisation auch schon häufig passiert, dass wir Argumentationen verbreitet haben, bei denen wir selber später (mit oder ohne fremde Hilfe – egal) gemerkt haben, dass sie kontraproduktiv sind. Wenn uns heute jemand vorrechnen würde, dass wir Argumentationen vortragen, die bei genauerer Betrachtung Kapitalismus-Bejahend sind, dann überlegen wir uns das und stimmen dann ggf. zu oder sehen es nicht ein. Wir würden demjenigen aber dann nicht sagen: Das ist aber „gemein“, dass Du uns unterstellst, wir wären gar nicht „echt“ antikapitalistisch.

 

Viertens: Die Bremer Gruppe fand es damals wichtig, dieses Flugi auf der Demo zu verteilen, weil sie die in den Aufrufen vertretenen Begründungen, warum man die Nazis blockieren sollte, für unbrauchbar und zweckwiedrig befand.

Nur ein paar Stichwörter, ansonsten die Bitte, das im Flugi nochmal nachzulesen: Nazis seien mit einer mangelnden Intelligenz ausgestattet, Nazis seien frustrierte Jugendliche, Nazis gibt es wegen Arbeitslosigkeit, Nazis würden ihre wahren Absichten vertuschen.

Diese Urteile wurden im Flugi kritisiert als Varianten, die Nazis in ihrer politischen Meinung nicht ernst zu nehmen. Und ja, diese Positionen gab und gibt es bei Antifa-Gruppen. Ob das die meisten oder nur einige sind, ist dabei gleichgültig. Dann sollen die einen die anderen überzeugen.

Vielleicht sollte die Antifa den Aufkleber „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“ aus den Verkehr ziehen und mit Flugis auf Massenaktionen aufwarten, die einleitend so beginnen: „Faschismus ist eine Meinung und die ist schlecht, weil....“.

 

Fünftens: Denn es ist eine Sache, dass viele Nazis so gefestigt sind in ihrer Anschauung, dass man an die mit Argumenten vielleicht gar nicht mehr herankommen kann und man wahrscheinlich mündlich gar keine Chance auf ne Diskussion hat, weil man gleich körperlich angegriffen wird. Zur Notwendigkeit des Selbstschutzes oder des Schutzes anderer gegen/vor Nazis wurde im Flugi kein Wort verloren und diese Notwendigkeit bestreiten wir damals wie heute auch gar nicht.

Jetzt ist doch aber eine Blockade einer Nazi-Demo kein Selbstschutz und auch nur sehr sehr vermittelt ein Schutz anderer (mit letzterem soll gemeint sein: Nazis greifen manchmal in Anschluss einer Demo Flüchtlinge und Linke oder sonstige in Naziaugen ausgemachte Feinde an. Die Verhinderung einer Zusammenrottung von Nazis mag dies vielleicht verhindern. Manchmal aber auch nicht, wenn die Nazis nach der erfolgreichen Blockade mit dem Zug gezwungener Maßen gemeinsam abfahren und dann woanders zuschlagen).

Die Demo-Blockade wurde gemacht, um die Agitation der Nazis zu unterbinden, damit sie nicht mehr Anhänger bekommen. Und hier kommen unsere Zweifel auf. Ein breites Bündnis wird geschmiedet und im Rahmen dieses Bündnisses, werden die Nazis am Marschieren gehindert. Und die Wenigsten wollen sich dabei mit den Inhalten der Nazis auseinandersetzen. Die Wenigsten bemerken, dass im Bündnis lauter Argumente gegen Nazis vorgetragen werden, die den Nazis in die Hände spielen, weil sie die gleiche Grundlage haben (auch dazu bitte nochmal das Flugblatt lesen).

 

Sechstens: Deswegen stimmen uns solche Erfolgsbilanzen gar nicht froh:

Auf Indymedia (Eintrag "Zusammen") schrieb jemand zu dieser Demo:

„Das war ein gutes Beispiel für gelungenes Zusammenstehen: Ob Bürger (oder Bürgermeister...), Gewerkschafter, Punk oder Antifa, alle zusammen haben die Strasse dichtgemacht. Das hat grossen Spaß und Lust auf mehr gemacht. Kleingruppentaktik hin oder her, aber mit so einer buntgemischten und dennoch entschlossenen Demo die Nazimarschroute dauerhaft zu besetzen und bei ein, zwei Polizeiattacken nicht die Nerven zu verlieren, ist ja wohl das Beste, was man bei so einem Anlass erreichen kann - und es ermutigt auch noch mehr 'normale' Leute, mitzumachen, und das sollte ja wohl das Ziel sein.“

Quelle: http://de.indymedia.org/2006/11/161012.shtml

Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass zu einem gelungenen Antifaschismus schon ein wenig mehr Inhalt dazu gehört, als die Freude, dass Viele mitmachen (egal, was sie sich dabei denken) und dabei auch noch ein wenig rechtsstaatliche Grenzüberschreitungen betrieben haben.

 

Siebtens: Dass wir uns mit solchen Positionen unbeliebt machen können, nehmen wir im Kauf. Uns ist es wichtiger, dass richtige Inhalte „beliebt“ werden und das schließt ein, dass man auch Linke kritisieren muss. Wir fänden es schonmal einen ersten Schritt in die richtige Richtung, wenn das nicht immer gleich als „Beleidigung“ aufgefasst würde.

 

Soweit erstmal, gerne Weiterfragen oder -kritisieren,

Gruppen gegen Kapital und Nation