28.03.2010 PDF

Gespensterjagd -- Zur Ideengeschichte des Antikommunismus

„Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst des Kommunismus. Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen diese Gespenst verbündet“, schrieben Marx und Engels im Kommunistischen Manifest — und das ist im Gegensatz zu anderen Behauptungen in dieser Schrift eine ziemlich wahre Aussage. Hass auf und Furcht vor radikaler Veränderung der bürgerlichen Gesellschaft sind so alt, wie ihre revolutionäre Durchsetzung selbst.

Spätestens mit der Französischen Revolution, die nicht in religiöser Verkleidung agierte, wie die niederländische und englische Revolution, und die in ihrer theoretischen Begründung wesentlich radikaler war, als etwa die amerikanische, entstand die Furcht vor dem „roten Terror“ (übrigens bevor „La Grande Terreur“ 1793 wirklich losging). Im Folgenden geht es um eine Rekonstruktion von Bildern und Vorstellungen und um eine Darstellung der Veränderung des Antikommunismus.

Antikommunismus heißt hier erstmal die Ablehnung und Feindschaft gegenüber der grundlegenden Veränderung der modernen Welt - sei es durch Aufhebung von Herrschaft oder durch Veränderung der Herrschaftszwecke.
Dass diese Ablehnung keine wissenschaftliche Kritik ist sondern Ressentiment, das sich permanent Widersprüche und Doppelstandards leistet, wollen wir im Folgenden zeigen.
Dass AntikommunistInnen gegenüber linken Bewegungen oder Theorien feindlich eingestellt waren, heißt aber nicht unbedingt, dass diese Bewegungen tatsächlich auf Kommunismus abzielten oder hinausgelaufen wären. Bewegungen mit solch grundlegenden Forderungen hat es nur wenige gegeben – denn jene Bewegungen, denen eine solche Absicht unterstellt wurde, teilten viele Ressentiments ihrer Gegner: Die Kritik an sagen wir der UdSSR oder der deutschen Sozialdemokratie, sie seien antinational, kosmopolitisch, wollten Familie und Moral zugunsten der freien Liebe zerstören und eine Gesellschaft mit möglichst wenig Arbeit einführen, wurden von den Protagonisten der ArbeiterInnenbewegung mit Empörung zurückgewiesen.
Der Antikommunismus verrät uns also viel über die AntikommunistInnen, aber wenig über die wirklichen sozialistischen, sozialdemokratischen, linkssozialistischen, kommunistischen, anarchistischen usw. Bewegungen, Parteien und Organisationen, gegen die er sich richtete. Antikommunismus ist fester Bestandteil des nationalen Bewusstseins und Immunisierungsstrategie gegen die Kritik an der bestehenden Gesellschaft. Er wird hin und wieder zum beherrschenden Thema in der nationalen Öffentlichkeit (1) und ist als Abwehr radikaler Kritik immer unterstellt. „Der Mensch ist nicht so“ mag der immer gleiche Leitsatz sein, mit dem jedwede Kritik zurückgewiesen wird. Das Folgende soll eine Skizze des geschichtlichen Wandels dieses Gedankens sein.


Wandel der Kommunismus-Bilder
Die qualitativen Sprünge dieses Bildes ergeben sich zumeist aus Veränderungen der politischen Situation. Dennoch sind diese Sprünge Teil einer Entwicklung, und die verschiedenen, hier beschriebenen Etappen bauen aufeinander auf und überlagern einander. Dem Antikommunismus kommt es nicht auf Kohärenz an; ein Denken, dass sich auf die Verteidigung des Bestehenden versteift hat, ist wahllos bei den Argumenten, weil es sich durch die Existenz der Gesellschaft, die es verteidigt, auf jeden Fall ins Recht gesetzt sieht. Die Antikommunismen früherer Etappen existieren munter neben den neueren her, Argumentationsweisen werden übernommen und neu eingepasst für die nunmehr geltenden Verteidigungsformen des Bestehenden.
In der ersten Phase des Antikommunismus wird im Zuge der bürgerlichen Revolutionen von 1789, 1830 und 1848 „Communismus“ zu einem relativ unbestimmten Synonym für Umsturz, Rebellion, Zerstörung der gottgewollten Ordnung. Die Jakobinermütze und die brennende Kirche werden zu Symbolen für die Umwertung aller Werte, die Zerstörung jener Tradition, die allein dem Menschen den Halt gäbe. "Communismus", soweit das Wort schon im Gebrauch ist, wird als verrückte Wahnidee des Verteilens aller Güter und der Ermordung der Reichen gehandelt; im Kommunismus ist der Mensch, der sich gegen Gott erhebt, am Werk. Zugleich wird über ‘Socialismus’ als Heilmittel gegen die sozialen Übel jenes Gemischs aus kapitalistischer Entwicklung und vorbürgerlicher Herrschaft, das damals in Europa vorherrschte, in bürgerlichen und anderen Kreisen diskutiert. Antikommunismus ist in dieser Epoche eine Denunziation demokratischer Bewegungen, hier tritt er also in Erscheinung als Verteidigungsideologie des Adels.
Mit der Pariser Commune und dem Erstarken der sozialistischen ArbeiterInnenbewegung wird der Kommunismus als Bewegung der primitiven, unaufgeklärten Massen, die von böswilligen Agitatoren aufgehetzt sind (s. erster Punkt), dargestellt. Da Kultur und Zivilisation auf Privateigentum beruhen würden, würden die „gefährlichen Klassen“ diese zerstören, wenn sie mit ihren verrückten Vorstellungen sich durchsetzen würden. Die unteren Klassen seien die Verlierer jenes ‘Lebenskampfes’, der allein jene Anstrengungen erzwingen würde, auf denen alle großen Kulturleistungen und alle Zivilisation beruhen würde. Die ‘gesichtslose Masse’ sei niemals in der Lage, die Gesellschaft zu führen, sie müsse notfalls mit Gewalt niedergehalten werden; ihre Minderwertigkeit zeige sich an ihrer gesellschaftlichen Stellung. Dabei verfuhren die Ideologen tautologisch: Die Leute seien „minderwertig“, weil sie „unten“ seien – und „unten“ seien sie, weil sie „minderwertig“ seien. Diese rassistische Herleitung des Wesens eines Menschen oder einer Menschengruppe fungiert als Verteidigungsideologie des Bürgertums.
Mit dem Übergang in die kolonial-imperialistische Ära wird die Idee vom Kommunismus als internationale Bewegung, die die eigene Nation schwäche und zerstöre betont. Zugleich wird der Sozialismus als Teil der Degenerationserscheinungen der westlichen Welt, als krankhaftes Symptom der modernen städtischen Entwicklung verstanden. Zum Einen der Sozialismus als pazifistische Bewegung, der dem eigenen Volk die Waffe aus der Hand schlage, in einer Welt von Feinden, eben weil er die Wahrheit des ewigen Kampfes um Lebensraum und Macht nicht anerkenne. Zum Anderen die Befürchtung, Sozialismus als Aufhebung der Konkurrenz bewirke den Zerfall der Zivilisation, die Förderung der ‘Minderwertigen’ gegenüber den ‘Gesunden’. Zum Dritten, die Vorstellung, die sozialistische ArbeiterInnenbewegung predige den Klassenhass und entzweie damit das Volk und mache es handlungsunfähig. Nicht nur in Deutschland verbindet sich dieser Antikommunismus mit dem Antisemitismus: Feindliche Mächte, die im Geheimen wirken, wollen dem Vaterland ans Leder, hier wirkt der Antikommunismus als nationale Integrationsideologie.
Mit der Oktoberrevolution und der Errichtung der UdSSR wird Kommunismus zum Bild für brutalen Terror, der asiatischen Bedrohung (ob es nun die Hunnen, Mongolen oder die gelbe Gefahr ist) Europas durch Bestialität, Umwertung aller Werte. Der Kommunismus wird zu einer mörderischen bedrohlichen Macht, die im Dienste des Bösen, des Weltjudentums steht oder schlicht selbst das Böseste ist. Von Moskau gelenkt, grabe und wühle der Weltkommunismus überall und versuche durch die Weltrevolution eine Welt des Terrors herbeizuführen. Der faschistische Antikommunismus ist nicht bloß ein Instrument „der Herrschenden“ um eine sozialistische Revolution zu verhindern, wiewohl das für manchen Kapitalisten oder Großgrundbesitzer Grund für die finanzielle Unterstützung gewesen sein mag, er ist Teil einer Ideologie eines Weltkreuzzugs, die einen Weltkrieg für die eigene Macht legitimiert, d.h. hier funktioniert er als Rechtfertigung des Imperialismus. (Für die deutschen Nazis hingegen war der Kampf gegen den ‘Bolschewismus’ nur ein Teil ihres Kampfes gegen das ‘Weltjudentum’.)
Nach dem Zweiten Weltkrieg wird der Kommunismus zum Synonym für sowjetisches Weltmachtstreben — im Regelfall ohne jüdische Weltverschwörung. Als Teil der „totalitären Bedrohung“ der westlichen Demokratie wird der Kommunismus dem Faschismus gleichgesetzt, wobei er natürlich zugleich der gefährlichere, weil noch existierende und weltweit agierende sei. Ehemalige Faschisten und die C-Parteien haben dabei noch in 50er Jahren durchaus die Betonung auf die Bedrohung des Abendlandes gelegt. Hier fungiert Antikommunismus als Integrationsideologie für Faschisten und als Rechtfertigung des Kalten Kriegs.

Mit der Entspannungspolitik und der 68er-Bewegung wird der Kommunismus zu einem „gescheiterten Projekt“, in das sich nur „totalitäre Träumer“ verlieben können. Die Renaissance des Marxismus(-Leninismus) wird als Ausdruck des jugendlichen Idealismus zugelassen, zugleich aber als irrationale Protesthaltung den Jugendsekten und Drogen gleichgesetzt, wo auch wohlmeinende Naivlinge für finstere Zwecke eingespannt werden. Gleichzeitig werden aber die Sozialliberalen, die diesen neuen, etwas gelasseneren Antikommunismus predigen, des schleichenden Übergangs zum Sozialismus bezichtigt; Demokratisierung, Emanzipation und sexuelle Revolution werden als Taktik der KommunistInnen bei der Zerstörung der westlichen Welt denunziert. Anfang der 70er Jahre fuhr der bürgerliche Staat einen ambivalenten Kurs: Einerseits wurden Projekte, die durchaus ein gesellschaftskritisches Selbstverständnis aufwiesen, gefördert – andererseits hagelte es Berufsverbote für linksradikale StaatsdienerInnen, und das nicht nur für LehrerInnen. Schluss mit der Toleranz ist spätestens seit Mitte der 70er Jahre, als der angelinkste Reformidealismus nicht mehr gefragt war, und als 1977 die letzte „Offensive“ (2) der RAF scheitert.
1986-89 verkleidete sich der Antikommunismus in die besorgte Betrachtung, ob die Reformen Gorbatschows gelingen, greifen etc. Das Echo auf die Selbstkritik (Perestroika) des Führers des Warschauer Pakts war durchweg positiv, und nicht zu verwechseln mit dem blöden Reformidealismus von Linken, die hofften, mit einer verwandelten Sowjetunion nunmehr auch im Westen voran zum Sozialismus schreiten zu können.
Nach 1989 gibt es kaum mehr KommunistInnen, denn viele von denen, die sich zuvor noch so nannten, nahmen die praktische Selbstaufgabe des Realsozialismus sowjetischer Prägung zum Anlass, ihre theoretische Kritik am Kapitalismus gleich mit zu beerdigen. Dass Antikommunismus trotz dieses Siegeszugs der Marktwirtschaft auch heute noch Konjunktur hat, äußert sich einerseits in den politischen Kampagnen der Rechten und der politischen Selbsthygiene der Linken, welche stets darum bemüht sind, etwaige kommunistische Töne in den eigenen Reihen möglichst schon im Keim zu ersticken. Andererseits zeigt sich die Aktualität des Antikommunismus in dem Engagement der Federführenden der politischen Medienöffentlichkeit, welche sich in aller Regelmäßigkeit aufs Neue gefordert sehen, den ideologischen Kampf gegen Kommunismus zu führen – gegen einen Kommunismus, der ihnen wohl niemals tot genug sein wird.

Ambivalenz des Arbeiters
Aus heutiger Sicht mag die Lektüre früherer antikommunistischer Werke erstaunlich sein: Die Gleichsetzung von ArbeiterInnen und Kommunismus war in früherer Zeit keineswegs bloß eine versponnene Theorie von Linken, die sich über die Wirklichkeit hinwegtäuschen wollten, sondern auch von den Gegnern akzeptierte Wirklichkeit. Auch wenn sie so absolut nie hingehauen hat — aus einer Lage erwächst nun mal kein Bewusstsein, sondern immer nur aus der Interpretation einer Lage — ist doch zu beobachten, dass die Verteidiger der bürgerlichen Gesellschaft in den unteren Klassen Feinde erblickten. Geschult an dieser Erfahrung, schien KommunistInnen und SozialistInnen das Lob des deutschen Arbeiters durch die Nazis nur als ein Fall sozialer Demagogie, das heißt, als einer neuen, besonders hinterlistige Taktik ihres alten Gegners, des Kapitals.
Die Linke legte sich die Gleichsetzung von „Volk“ und „Links“ schon deswegen zurecht, weil sie sich für die Rechte des Volkes stark machte. Ihre Idee war: Wir sind für das Volk, also muss das Volk für die Linke sein. Diese Gleichsetzung wurde mit dem aufkommen konterrevolutionärer Massenbewegungen brüchig, in der Menschen gegen die eigene Emanzipation auf die Straße gingen. Ohne einen Geschichtsoptimismus á la „Der Sozialismus wird siegen“ ist die eigenartige Blindheit der Linken, die NationalistInnen, RassistInnen und AntisemitInnen nicht als solche erkennen, nicht zu verstehen. Wer, wie viele Leute in den 20ern und 30ern, den Faschismus nur als einen temporären Aufstand der Zurückgebliebenen gegen die Zukunft begreift, nimmt den Faschismus nicht erst und kann ihn daher auch nicht richtig bekämpfen.
Die Neubewertung des Volkes durch die politische Rechte hätte bei den Linken alle Alarmglocken schrillen lassen müssen. Mit dem Bild des sozialistischen Agitators und noch mehr des jüdischen Hintermannes, der die eigentlich guten ArbeiterInnen aufhetzt, beginnt die Aufspaltung des Bildes des Arbeiters in das des guten produktiven Arbeiters und das des bösen streikenden Proleten.
Diese ambivalente Sicht auf die Arbeiterklasse hat durchaus ihren tieferen Sinn: ArbeiterInnen sind im Produktionsprozess Notwendigkeit und Problem zugleich. Sie sind jene Klasse, die den Reichtum schafft, der auch ihre Armut produziert, und das lieben die Faschisten an ihnen: Das selbstlose Opfer, den Dienst am Volke in der Produktionsschlacht, der genügsame Stolz auf die Produkte der eigenen Anstrengungen, ohne dass mensch selbst etwas von ihnen hätte. Eben jene „geheime“ Qualität der Ware Arbeitskraft, mehr Wert zu schaffen; die notwendige Bereitschaft der Arbeitskraftbesitzer sich zum Mittel zu machen, ohne allzu viel davon zu haben; und schließlich jene psychischen Leistungen, die dem eigenen unerfreulichen Leben seinen höheren Sinn geben: Der Stolz, arm, aber ehrlich zu sein, der Hass auf den Luxus, die quasi-militärische Disziplin der damaligen Fabrikarbeit. Die andere Seite des Arbeiters aber ist die aus seiner Rolle erwachsende Macht — „Mann der Arbeit aufgewacht, und erkenne Deine Macht. Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will“, dichtete damals die ArbeiterInnenbewegung. Dazu kam die damals durchaus verbreitete Verachtung für die feindliche bürgerliche Welt, ihre Moral und ihre Kultur; der Hass auf jene Verhältnisse, die alles wirklich Interessante einem/r vorenthalten. Die ArbeiterInnen sind im Kapitalismus an ein entgegengesetztes Interesse gefesselt, und die Aufspaltung des ArbeiterInnenbildes reflektiert genau dies: Die Angewiesenheit auf die Verhältnisse als das affirmative Bild des blonden, muskelstrotzenden Arbeiters der Faust, den Gegensatz zum kapitalistischen Interesse als die hassverzerrte Karikatur des verkommenen, roten Proleten.
Der Antikommunismus ist die Ehrenrettung der deutschen ArbeiterInnen, der es erlaubt, dieser Klasse ihre sozialistische Bewegungsform zu verzeihen. Fast genauso formuliert es Hitler auch, wenn er den Grund für den Erfolg der sozialistischen ArbeiterInnenbewegung in der Ausnutzung des Elends der ArbeiterInnen durch jüdische AgitatorInnen sieht. Dies macht die Schlagkraft des Nationalsozialismus und Faschismus im Gegensatz zu den damaligen Konservativen, Jungkonservativen und Volkskonservativen aus: Die FaschistInnen halten das Volk nicht per se für minderwertig, ihrem Konzept eines Herrenvolks von Untertänigen liegt ein ganz ernst gemeintes Lob des Volkes zugrunde. Die Feindschaft gegenüber dem Volk ist dem Misstrauen in seine Fähigkeit, die roten VerführerInnen zu durchschauen, gewichen. Die bürgerliche Gesellschaft kann auf Dauer nicht darauf beruhen, dass die eine Klasse die andere unterdrückt. Sie braucht die nationale Integration aller, weil bürgerliche Verhältnisse auf der Herrschaft des Volkes über das Volk beruhen, auf der Unterwerfung der Menschen unter die von ihnen selbst geschaffenen Verhältnisse. Eine demokratische Gesellschaft und ihre erfolgreiche Verknüpfung von Kapital und Arbeit ist politisch stabiler und ökonomisch effektiver als die offene Klassenherrschaft des 19. Jahrhunderts. Sie erteilt allen gleichermaßen die Freiheit zur die Teilnahme an der Konkurrenz und unterwirft sie so deren Ergebnissen.
Dieser historische Schritt, die Modernisierung der Antikommunismus, ist der eigentlich qualitative Sprung: Die Entdeckung des Volks durch die politische Rechte und seine Einbindung in das nationale Projekt.

Zerstörung der Welt
Die sozialdarwinistische Vorstellung des Konkurrenzkampfes von Individuen, Völkern, Rassen als naturnotwendige Selektion, als Voraussetzung für Entwicklung wichtiger Tugenden, als Verhinderung von Entartung und Degeneration, war eine pseudowissenschaftliche Gegenhaltung zum evolutionären Sozialismusbegriff der ArbeiterInnenbewegung. Populär sind solche Vorstellungen z.B. durch Ideen wie „Dann arbeitet doch keiner mehr, wenn allen alles gehört“, „dann strengt sich doch keiner mehr an“, „wenn alle nur nach Genuss streben, wird doch alles verjuxt“. Diese Vorstellungen projizieren die gesellschaftliche Realität des Kapitalismus in das „Wesen des Menschen“. Die Durchschlagskraft solcher Vorstellungen sollte mensch nicht unterschätzen, schon weil sie auf reale Erfahrungen zurückgreift, die sie zu bestätigen scheinen. Tatsächlich bemühen sich SchülerInnen möglichst wenig zu arbeiten, mit öffentlichem Eigentum wird rabiat umgegangen, Menschen verhalten sich unvernünftig. Oft mag es sogar so erscheinen, als ob allein die Rationalität des Marktes und die harte Drohung von Armut und Untergang allein den eigentlich ziemlich unvernünftigen Menschen zur Vernunft zwingt. Freilich ist es eine eigentümliche Verarbeitung gesellschaftlicher Realität die da geschieht, weil weder der demolierten Telefonzelle, dem Krankmachen auf der Arbeit oder dem durchgeknallten Liebhaber das Wesen des Menschen anzusehen ist, sondern nur der Umgang bürgerlicher Konkurrenzsubjekte mit eben jener Welt, in der sie leben. Gegen die schlichte Frage, warum Menschen nicht in der Lage sein sollten, ihre Gesellschaft vernünftig einzurichten, ihre Bedürfnisse nach einem gemeinsamen Plan zu befriedigen, und mit den unterschiedlichen, vielleicht hin und wieder sogar tatsächlich entgegengesetzten Interessen umzugehen, wird eben nur der bürgerliche Blödsinn von der Natur des Menschen präsentiert (siehe Zitate weiter unten).
Zusätzlich kommt noch das Argument, dass es die ewige Knappheit an Gütern sei, die das Gegeneinander der Menschen erzwingt - bzw. avancierter: weil der endlichen Menge an Gütern die angeblich unendlichen Bedürfnisse des Menschen gegenüber stünden. Außerdem folgt noch die Warnung, dass im Überfluss alles versinkt. Über diesen Glaubenssatz darf mensch nicht lange nachdenken, um ihn zu glauben. Also: Der Mensch ist nicht so, die Welt sowieso nicht, und das ist auch ganz gut so, weil sonst die Welt unterginge. Auch wenn die folgende kleine Zitatenauswahl etwas altbacken wirkt - sie ist es nicht :

monarchistisch-konservativ
„der ewige Friede ist ein Traum, und nicht einmal ein schöner, und der Krieg ist ein Glied in Gottes Weltordnung. In ihm entfalten sich die edelsten Tugenden des Menschen, Mut und Entsagung, Pflichttreue und Opferwilligkeit mit Einsetzung des Lebens. Ohne Krieg würde die Welt in Materialismus versumpfen“
(Helmuth Graf von Moltke: Brief an Bluntschli. In: Pross, Harry (Hrsg): Die Zerstörung der deutschen Politik. Dokumente 1871-1933. FaM: Fischer 1959, S.29)

liberal
„Es gibt keinen Frieden auch im wirtschaftlichen Kampf um das Dasein: Nur wer jenen Schein des Friedens für die Wahrheit nimmt, kann glauben, daß aus dem Schoße der Zukunft für unsere Nachfahren Frieden und Lebensgenuß erstehen werde. Wir wissen es ja: die Volkswirtschaftspolitik ist der vulgären Auffassung ein Sinnen über Rezepte für die Beglückung der Welt — die Besserung der ‘Lustbilanz’ des Menschendaseins ist für sie das einzig verständliche Ziel unserer Arbeit. Allein: Schon der dunkle Ernst des Bevölkerungsproblems hindert uns, Eudämonisten zu sein, Frieden und Menschenglück im Schoße der Zukunft verborgen zu wähnen , und zu glauben, daß anders als im harten Kampf des Menschen mit dem Menschen der Ellenbogenraum im irdischen Dasein werde gewonnen werden. ... für den Traum von Frieden und Menschenglück steht über der Pforte der unbekannten Zukunft der Menschengeschichte: Lasciate ogni speranza . ... Nicht das Wohlbefinden der Menschen, sondern diejenigen Eigenschaften möchten wir in ihnen [den Nachfahren] emporzüchten, mit welchen wir die Empfindung verbinden, daß sie menschliche Größe und den Adel unserer Natur ausmachen.... Nicht Frieden und Menschenglück haben wir unseren Nachfahren mit auf den Weg zu geben, sondern den ewigen Kampf um die Erhaltung und Emporzüchtung unserer nationalen Art“
(Weber, Max: Nationalstaat und Volkswirtschaftspolitik. Akademische Antrittsrede (1895.) In: Gesammelte politische Schriften. Tübingen: J.C.B. Mohr 1958)

faschistisch
„Daß aber diese Welt dereinst noch den schwersten Kämpfen um das Dasein der Menschheit ausgesetzt sein wird, kann niemand bezweifeln. Am Ende siegt ewig nur die Sucht der Selbsterhaltung. Unter ihr schmilzt die sogenannte Humanität als Ausdruck einer Mischung von Dummheit, Feigheit und eingebildetem Besserwissen, wie Schnee in der Märzensonne. Im ewigen Kampfe ist die Menschheit groß geworden — im ewigen Frieden geht sie zugrunde.“
(Adolf Hitler: Mein Kampf. Bd. I. München: Franz Eher Nachf. 1933, S.148/149)

sozialistisch
„... Eigenschaften wie Loyalität, Großmut etc., wären in einer Welt, in der nichts schief ginge, nicht nur bedeutungslos, sondern wahrscheinlich unvorstellbar. In Wahrheit können viele Eigenschaften, die wir an Menschen bewundern, nur im Widerstreit mir irgendeiner Art von Unglück, Schmerz oder Schwierigkeiten überhaupt wirklich sein; die Tendenz technischen Fortschritts besteht darin, Unglück, Schmerz und Schwierigkeiten auszuschalten. ... Indem man sich an das Ideal der technischen Effizienz bindet, bindet man sich an das Ideal der Weichlichkeit. Aber Weichlichkeit ist abstoßend, und so wird der ganze Fortschritt als ein wahnsinniger Kampf auf ein Ziel hin gesehen, das, wie man hofft und betet, nie erreicht werden wird.“
(George Orwell: Der Weg nach Wigan Pier. Zürich: Diogenes 1982, S.188-190)

Was die hier angeführten Standpunkte unterstellen ist die biologistische Ideologie einer „wölfischen“ Menschennatur und damit der Schluss auf kooperative Gesellschaftsformen als gemeingefährliche Vorschläge zu einer Degenerierung der Menschenwelt. Durch die Aufhebung der Konkurrenz und des Kampfes werde die Welt unnatürlich, schwächlich und degeneriert. Auf diesen kleinsten gemeinsamen Nenner hätten sich Moltke, Weber, Hitler und Orwell wohl einigen können. Dies ist der sachliche Zusammenhang zwischen Biologismus auf der einen, und dem Antikommunismus auf der anderen Seite. Des Weiteren ist diese damals von vielen ZeitgenossInnen geteilte Befürchtung der erste Schritt zu der antisemitisch-paranoiden Verlängerung, Bemühungen hin zu einer kommunistischen Gesellschaft als eine besonders Strategie zur Weltmachtergreifung des Judentums zu sehen. Die staatliche Propaganda vom "jüdischen Verführers", der aus untertänigen, arbeitenden Massen revoltierende Massen mache, war eine besondere Erfindung des Faschismus.

Wer sich nun zurück lehnt und diese verstaubt wirkende Ideologie müde belächelt, mag sich an Folgendes erinnern: Die „Kritik“, in einer „Konsum-“, „Wohlstands-“ oder „Raffgesellschaft“ zu leben, dass 'wir' alle Opfer zu bringen haben und „die fetten Jahre vorbei sind“, hat nicht erst Helmut Kohl in die nationale Politik eingebracht. Jene Vorstellung, im Kommunismus verfräße der natürlich kurzsichtige, egoistische Mensch schnell den Reichtum ist als angstvolle Warnung im Kapitalismus dauernd präsent. Es ginge ‘uns’ zu gut, ‘wir’ hätten über ‘unsere’ Verhältnisse gelebt, könnten ‘uns’ dies oder jenes nicht mehr ‘leisten’ — die Welt sei nun mal kein Ponyhof. Mangel und Entbehrung seien gut für den Menschen. Das nicht nur weil der Mensch nun mal dem Menschen ein Wolf sei — und darum etwa Futterneid der Natur des Menschen entspräche — von allzu praktischen Konsequenzen hielte ihn allein derjenige Wolf im lustigerweise dann doch irgendwie wirksamen, demokratisch-parlamentarischen Schafspelz ab. Oder: „Wenn’s dem Esel zu gut geht, dann wagt er sich aufs Eis.“ „Überfluss erzeugt Maßlosigkeit, Trägheit, Verfall, und alle großen Genies hatten Hunger.“

In all diesen Vorstellungen lügen sich die Menschen das erfahrene Leid als unveränderlich zurecht. Sie verklären es, indem sie es auf eine Natur des Menschen überhaupt zurückführen – statt es durch die kapitalistische Einteilung der Welt zu erklären. Wird das Leid als "natürlich" verstanden, hat mensch nebenbei auch prima vor sich gerechtfertigt, warum es ja doch nichts bringt, für eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung einzutreten. Antikommunismus erweist sich so als nützlicher Bestandteil des bürgerlichen Alltagsbewusstseins.

Gruppe „Kritik im Handgemenge“ Bremen


Fußnoten
1 In Deutschland: etwa die "Hottentottenwahl" 1907, die Niederschlagung des Januaraufstandes 1917, der Machteintritt der NSDAP 1933 - in den USA: bspw. „Red Scare“ 1917, McCarthy -Ära 1947.

2 Das recht defensive Ziel war das Freipressen der Gefangenen.