20.07.2011 PDF

Gentrification

I. Ökonomie des Bodens

 

Wer verdrängt wen warum?

Die Bezeichnung „Gentrification“ umschreibt von der Namensherkunft her einen Prozess, in dem Besserverdienende die Geringverdiener aus der Innenstadt oder bestimmten Vierteln verdrängen. Für das, was wohnungspolitisch in Berlin oder anderen Städten passiert, ist dies als Beschreibung schon sehr dürftig. Viele Aktivisten nehmen das aber sogar als Begriff der Sache:

Die zuziehenden Reichen treiben die Mieten in die Höhe. Entsprechend dieser Theorie sehen die praktischen Widerstände von manchen Leuten aus.

Gegen diese Erklärung der Stadtentwicklung wendet sich u.a. Andrej Holm. Erstens verweist er darauf, dass die steigenden Mieten immer noch eine wichtige Grundlage in den Rentabilitätskalkulationen der Eigentümer von Grund und Häusern haben. Zweitens sagt er, dass diese Kalkulationen sich in den letzten beiden Jahrzehnten durch neue Akteure des Immobilienkapitals wesentlich verändert haben und dieses somit der ökonomische Grund der Veränderung sei.

 

Dagegen soll im Folgenden dargestellt werden:

Erstens: Die Freiheit der Grundeigentümer in der kapitalistischen Gesellschaft schließt das Interesse an steigenden Mieten aufgrund der eigentümlichen Bodenbewertung prinzipiell ein und nicht erst wenn die Immobilienfonds kommen.

Zweitens: Der Erfolg dieser Kalkulation hängt dabei nicht einfach von zuziehenden reichen Leuten ab, sondern von der Gesamtentwicklung des Kapitalismus vor Ort.

 

Eigentümer von Grund und Boden (mit den darauf gegebenenfalls schon befindlichen Gebäuden) können von denjenigen, die diesen Boden nutzen wollen, eine Pacht oder Miete verlangen. Altertümlich nennt man das eine Bodenrente (die nicht zu verwechseln ist mit der Altersrente). Die Eigentümer wollen den Boden nicht selbst benutzen, um darauf zu ackern, zu produzieren oder zu wohnen. Andere Mitglieder der Gesellschaft wollen das tun. Damit sie das tun können, müssen sie die Zustimmung des Eigentümers bekommen. Wie bei jedem Ding, das jemand als Privateigentum exklusiv besitzt und das andere haben wollen, ist dies der Auftakt für eine freundschaftliche Beziehung namens „gib mir Geld“. In diesem Falle wird der Boden nicht gleich verkauft, sondern die Nutzung gestattet – für einen regelmäßigen Tribut namens Pacht oder Miete.

 

Wonach richtet sich die Miete?

Vom Grundeigentümer her: Soviel wie möglich. Das Märchen vom Eigentümer, der nur soviel nimmt, dass er davon irgendwie leben kann, kann man getrost als solches behandeln. Das „soviel wie möglich“ hat aber eine Schranke an den Angeboten der Konkurrenzeigentümer an Boden.

Von den Nutzern her: So wenig wie möglich? Das stimmt so schon nicht mehr, denn die Uckermark ist bekanntlich nicht der neue Hot Spot für alle möglichen Mieter. Mal an den möglichen Interessenten durchgespielt:

Jede Sorte Kapital braucht einen Boden, um das Geschäft abzuwickeln. Die Böden haben aber unterschiedliche Beschaffenheiten und Lagen und sind dadurch unterschiedlich interessant für das jeweilige Kapital: Für das Agrikulturkapital ist die Fruchtbarkeit sehr entscheidend. Für den Rohstoffabbau ist auch offensichtlich, dass die Qualität der Böden eine Rolle spielt. Für das industrielle Kapital im engeren Sinne sind Verkehrsanbindungen, Nähe von Zulieferern, ggf. Nähe von Universitäten für die Facharbeiter usw. bedeutend. Für das Handelskapital ist die Nähe zu den Kunden entscheidend. Für Banken ist die Darstellung von Reichtum als Bedingung für Kreditwürdigkeit wichtig; für die Tourismusbranche die Nähe zum touristisch attraktiven Ort und Verkehrsanbindungen, die einen Massentourismus ermöglichen – Stichwort Easy Jet.

Für alle Geschäftsarten ist der Boden nicht einfach nur eine wichtige aber ansonsten gleichgültige Bedingung, sondern eine Bedingung des Konkurrenzvorteils. Eine vergleichsweise hohe Pacht mag sich hier lohnend auf den Profit auswirken.

 

Entsprechend der Bedürfnisse der Geschäftswelt jenseits der Grundeigentümer ergeben sich sogenannte günstige Lagen, für die dann eine relativ höhere Miete verlangt werden kann. Entsprechend gibt es auch ungünstige Lagen, wo keine Miete verlangt werden kann.

Dies ist wichtig gegen den Gedanken hochzuhalten, dass die Miete einfach daher komme, dass der Boden ja generell knapp ist und nicht durch Produktion beliebig vermehrbar ist, wie etwa Autos.

Die Mieten entwickeln sich entlang der Entwicklung des kapitalistischen Geschäfts vor Ort.

 

Soweit kann man auch erstmal festhalten, dass für die Pachteinnahmen die Grundeigentümer gar nicht weiter tätig werden müssen. Soweit das Geschäftsleben außerhalb von ihnen an ihrem Grund und Boden Interesse hat, ist das reine Verfügungsrecht über den Boden automatisch eine dauerhafte Geldquelle. Für die Grundeigentümer ist dann das reine Eigentum an Grund und Boden – ohne die Notwendigkeit weiterer Zwischenschritte, wie z. B. in der Warenproduktion – ein Goldesel.

 

Bodenpreisbildung

Bevor auf die weiteren Nutzer, die Wohnungssuchenden, eingegangen wird, soll zunächst die Bodenpreisbildung, wie sie sich aus dem bisher Dargestellten weiter entwickelt, verfolgt werden.

Der Bodenpreis bildet sich nicht einfach analog zur Pacht über die oben dargestellte bestimmte Art und Weise von Angebot und Nachfrage. Die Pacht oder Miete wird kapitalisiert und ergibt im Ertragswertverfahren den Bodenwert. Dazu ein Beispiel:

Ein Bodeneigentümer bekommt für die Nutzung seines Bodens eine Pacht von jährlich 100.000 €.

Jemand ganz anderes besitzt 1.000.000 € und könnte dieses Geld bei der Bank für 10% Zinsen im Jahr anlegen. Die 10% Zinsen sind gerade der übliche Zins in der Gesellschaft für Geldanlagen. Diese Person würde im Jahr also 100.000 € im Jahr an Zinsen bekommen, also genauso viel wie unser Bodenbesitzer an Pacht bekommt. Daher könnte die Person, anstatt die Million zur Bank zu bringen, genauso gut das Stück Boden kaufen und hätte denselben Nutzen: 100.000 € jährliches Einkommen.

 

In einer funktionierenden kapitalistischen Gesellschaft, in der alles dem Geldverdienen untergeordnet ist und man mit Geld alles einkaufen kann, was man zum Gewinnemachen braucht, entwickelt sich ein Banksystem, innerhalb dessen eine Geldsumme schon gleich mehr ist als sie selbst. Die Million ist Kapital und ist die Lizenz für 1.100.000 €. Wo das allgemein gilt, wird umgekehrt jede regelmäßige Geldeinnahme so behandelt, als wäre sie das Kind eines zugrundeliegenden Ursprungskapitals. In diesem Falle ist der Boden selber quasi Kapital. Der Wert dieses Kapitals wird dabei nicht nur nach der Pacht berechnet, sondern auch danach, welcher Zins in der Gesellschaft üblich ist. Der Boden bringt jährlich 100.000 € und so berechnet, als wäre dieser Betrag das Zinsergebnis von 10% einer zugrundeliegenden Grundsumme, ist dann der Bodenwert 1.000.000 €. Um diesen Bodenwert schwankt dann der Preis, zu dem am Ende tatsächlich verkauft wird.

 

Klar ist, dass der Bodenwert nach der gesellschaftlich üblichen Berechnung steigt, wenn die Pacht sich erhöht. Kann der Bodenbesitzer eine Pacht von 200.000 € jährlich durchsetzen und kapitalisiert diesen Betrag zu 10%, dann ergibt das einen Bodenwert von 2.000.000 €. Um sich das anschaulich zu machen, kann man wieder den Vergleich machen: Hat eine Person 2.000.000 € und kann die zu 10% bei einer Bank anlegen, bekommt sie jährlich 200.000 €.

Sinkt die Pacht um die Hälfte, sinkt auch der Bodenwert um die Hälfte.

 

Der Bodenwert kann sich aber auch alleine dadurch ändern, dass der gesellschaftlich übliche Zins sich verändert. Fällt der Zins auf 5 % dann erhöht sich der Bodenwert auf das Doppelte. Für die Anschauung wieder der Vergleich: Um 200.000 € Zinseinnahmen im Jahr zu bekommen, muss jemand schon 4.000.000 € zur Bank bringen, wenn der Zins nur 5% beträgt.

Der Bodenbesitzer nimmt 200.000 € pro Jahr ein. Als Kind eines Grundkapitals, dass sich zu 5% verzinst, ist das Grundkapital also 4 Millionen.

Steigt der Zins in der Gesellschaft, sinkt der Bodenwert entsprechend.

 

Die gesellschaftlichen Zinsen sind hier gemessen an den letzten Jahrzehnten sehr hoch, also unrealistisch angesetzt. Sie sollten das Rechnen etwas einfacher machen. Dennoch kann man an den obigen Beispielen erkennen, welche Schwankungen der Bodenwert durch veränderte Pachteinnahmen und den Zinsänderungen erfahren kann. Neben der tatsächlichen Miete wird so die Bodenwertentwicklung für die Eigentümer zu einer weiteren, wenn nicht zu der Haupteinnahmequelle.

 

Es gibt die Vorstellung, dass ein Hausbesitzer, der ein Haus vermietet, am besten selber noch im Erdgeschoss wohnt, nicht so hart gegenüber den Mietern unterwegs ist, wie ein Immobilienkapital.

Im Vergleich zu Immobilienfonds besteht hier der Unterschied aber bloß darin, dass diese über mehr Geld verfügen. Der einfache Hausbesitzer kann eine Modernisierung nicht ohne weiteres stemmen, um dann die Mieten zu erhöhen, die dann evtl. aber auch keiner zahlen will, weil nebenan noch billigerer Wohnraum zu haben ist.

Immobilienkapitale verfügen über genug Geldmittel, dass sie sie ihre eigene Bodenwertentwicklungskalkulation positiv beeinflussen können. So können sie ganze Massen an Wohnungen kaufen, sie modernisieren und höhere Mieten verlangen. Dadurch wird der billigere Wohnraum am bestimmten Ort knapper und der Mieter kann nicht mehr so einfach sagen, „ach dann geh ich doch zum anderen Vermieter“. Die Immobilienkapitale können gestalterisch so Einfluss nehmen, dass die Wohnungen und deren Umgebung für neue zahlungsfähigere Mieterschichten, die direkt umworben werden, attraktiver sind. Als Trittbrettfahrer dieser Aufwertung, sind dann auch die einfachen Hausbesitzer zunehmend bereit, ihr Haus zu verkaufen, um an der Bodenwertentwicklung zu verdienen.

 

Die Wohnungsmieter und ihre Kalkulationen

Entwickelt sich ein kapitalistisches Geschäftsleben vor Ort, dann gibt es alleine deswegen einen wachsenden Bedarf nach Wohnraum, mit dem die Grundbesitzer kalkulieren können. Vom Management, leitenden Angestellten, Fachkräften bis hin zum einfachen Arbeiter wollen alle Wohnraum haben. Hat die Stadt dann noch eine Uni, kommen die Studierenden hinzu. Wird die Stadt zur Hauptstadt erklärt, dann kommt die ganze Staatsbelegschaft hinzu.

Sie alle treten mit ihrem Geldbeutel erstens gegen die oben beschriebenen engeren Geschäftsinteressen nach Büroräumen etc. an und zweitens gegeneinander.

Sie haben die Freiheit entlang der Angebote des Wohnungsmarktes folgende Kalkulation aufzumachen: Wieviel Prozent meines Einkommens bin ich bereit für wieviel Wohnraum in welcher Qualität auszugeben? In den höchsten Etagen des Einkommens führt das nicht zu einem Abtrag an den anderen Bedürfnissen. Die anderen müssen schon die Miete gegen Restaurantbesuche, Kino, Reisen oder schlichte Kneipe rechnen und sich fragen: „Wo mache ich Abstriche?“.

Die Abstriche bei der Wohnungsqualität umfassen solche Sachen wie: Größe der Wohnung, Helligkeit, Lautstärke der Umgebung, gute Luft, Verkehrsanbindung insgesamt und Nähe zum Arbeitsplatz, Infrastruktur in der Umgebung (von Einkaufsmöglichkeiten über Amüsement bis hin zu Kindergärten, Schulen), soziale Umgebung usw.

 

In diesem Salat von schlechten Entscheidungen, die zu treffen sind, sind vielfältige Trends möglich. Da entscheiden sich in Kreuzberg im Gegensatz zum Prenzlauer Berg scheinbar mehr bisherige Mieter dafür, zu bleiben, nehmen dabei aber in Kauf, dass die Miete dann 40% ihres Einkommens schluckt.

Da gibt es Leute, die ziehen vor jeder Modernisierung ins nächste Loch bis zu dessen Modernisierung usw., bis kein Loch mehr übrig ist. In dem Maße, wie der Wohnraum an Löchern sich verknappt, steigen auch dort die Mieten horrend.

Da wollen Familien nicht mehr unbedingt am Stadtrand mit viel Grünfläche wohnen, weil die Frau auch arbeiten will und muss, fühlen sich länger „jung“ und genießen ein modifiziertes Innenstadtflair.

Da entscheiden sich Menschen, lieber 1,5 Stunden Fahrtweg zur Arbeit in Kauf zu nehmen, weil das Miete spart. Andere nehmen 1,5 Stunden Fahrtweg in Kauf, weil sie in Wolfsburg arbeiten, aber in Berlin wohnen wollen. Da entscheiden sich Wissenschaftler, in zwei oder gleich drei Hauptstädten in Europa und USA eine Wohnung zu erhalten, weil ihnen das an Lebensqualität in Bezug auf ihren Beruf, der die Anbindung an verschiedene Lehrstühle sinnvoll erscheinen lässt, wichtig ist.

 

Fazit: Städtische Veränderungen in Sachen Wohnpreis und Umgebung haben meist ein paar sichtbare oder fühlbare Begleitumstände, z.B. mehr Touristen und Hostels, veränderte Sozialzusammensetzung der Nachbarschaft, andere Geschäfte etc. Man muss jedoch klar haben, dass diese Sachen Ausdruck eines viel umfassenderen Prinzips sind, nämlich der Abhängigkeit von Geschäftsinteressen in Sachen Boden und der Abhängigkeit von der Entwicklung des kapitalistischen Geschäftslebens.

 

Eine Kritik an Andrej Holm

Andrej Holm bespricht alle Beiträge, die es in der Wissenschaft oder Politik zum Thema Gentrification gibt, in der Weise, dass da jeweils auch was dran sei, nur alleine aber nicht die Sache erklärt würde. Angebotstheorien – da sei was dran, aber...., Nachfragetheorien, da sei was dran, aber... So weist er jede Erklärung in die Schranken, aber kritisiert keine prinzipiell. Gentrification erscheint dann bei ihm als ein Zusammenspiel von vielen Bedingungen. Wenn es aber um die Frage geht, wie denn nun die Mietentwicklungen zu erklären sind, kommt er zu Unterscheidungen wie „zentrale Ursache“ und implizit entsprechend nicht so entscheidende Ursachen. Z.B.: „Die kritische Wohnungsmarktforschung sieht deshalb in der Verwandlung städtischen Grundeigentums in reine Finanzanlagen und der Zurückdrängung von traditionellen Grundeigentümerstrukturen eine zentrale Ursache für die Gentrificationprozesse in den Städten.“ (Andrej Holm, Wir Bleiben Alle!, Münster 2010, S.27.)

Es ist ein Unterschied, ob man den Zusammenhang von marktwirtschaftlicher Benutzung von Grund und Boden entwickelt und dabei die Fortentwicklung der Spekulation auf Bodenwerte aus dem grundlegenden Mieteinnahmeziel entwickelt und dabei ggf. auf eine besondere Entwicklung näher eingeht oder aber man den Zusammenhang unter den Tisch fallen lässt und sich gleich nur um die Besonderheit kümmert. Dann macht man nämlich die Besonderheit zum Grund. Daher haben wir stark den Verdacht, dass die kritische Stadtforschung nicht über unsere Erklärung hinausgeht, sondern im Gegensatz zu uns schlicht woanders anfängt und aufhört.

Das mit den Bedingungen, Ursachen und Gründen ist nicht nur eine philosophische Logikübung. Wer die finanzkapitalistische Bewirtschaftung des Wohnungsmarktes als besondere Fassung der prinzipiellen Beugung des Wohnens unter kapitalistische Kriterien verstanden hat, der ist nicht damit zufrieden, irgendwie das Finanzkapital mal auszubremsen. Wer das nicht versteht, wird über das Finanzkapital schimpfen, gegen es mit Transparenten wie „Gierifizierung“ protestieren und vielleicht auch was unternehmen, aber dabei die kapitalistische Ordnung insgesamt weiter unterschreiben.

 

Eine Besonderheit des Immobilienmarktes im Zeichen der Krise des nationalen Kredits

Aktuell könnte man den Eindruck bekommen, dass die Entwicklung des Immobilienmarktes gar nicht soviel mit der kapitalistischen Gesamtentwicklung zu tun habe, wie wir es behaupten. Die westliche Welt steht seit Jahren in oder am Rande der Krise und die Wohnungspreise in manchen Innenstädten steigen trotzdem weiter rasant.

In der Finanzkrise misstrauen die wesentlichen Finanzinstitutionen ihrer normalen Praxis, Schuldversprechen zu kapitalisieren und wie einen gegenwärtigen Wert zu behandeln. Schuldversprechen wie eine Staatsanleihe oder eine Unternehmensaktie sind dann nicht mehr gegenwärtiger Reichtum, sondern bloß ein prekäres zukünftiges Versprechen. In dem Maße, wie das so durch die Finanzinstitutionen behandelt wird, machen sie das auch wahr.

In dieser Situation findet eine Flucht in die sogenannten Sachwerte statt. Statt in Staatsanleihen zu investieren, kaufen Anleger Gold und pushen dessen Wert auf Spitzenpreise. Statt in Aktien zu investieren, kaufen Anleger oder gleich ein Bankfonds Immobilien auf. Der Investitionszweck ändert sich: Es soll nicht durch den Kauf von Rechten auf zukünftige Zahlungen das Privateigentum vermehrt werden, sondern das Privateigentum soll sich überhaupt im Wert halten und sich nicht mit Entwertung von Schuldtiteln und den damit verbundenen Währungen verflüchtigen. Es findet kein Investment im engeren Sinne statt, also ein Kauf von Sachen zum Zweck der Wertvermehrung, sondern bloß ein Kauf von vermutetem wertbeständigem Zeugs.

Dieser krisenbedingte Investitionszweck findet laut Zeitungsartikeln, in denen Immobilienfirmen interviewt werden, gerade in Berlin statt und erklärt erstmal die besondere aktuelle Nachfrage nach innerstädtischen Wohnraum seitens potentieller Eigentümer. Warum dabei nicht nur die Immobilienpreise, sondern auch die Mieten steigen, lässt sich nur über die Gründe erklären, die auch in „normalen Zeiten“ gelten und die weiter oben benannt worden sind.

Natürlich schauen die Investoren dabei aber schon darauf, wo sich wohl nach der Krise weiter wirtschaftlich etwas entwickeln wird. Der Berliner Innenstadtbereich scheint ihnen in ihrer Prognose das wohl herzugeben. Auf die gleichförmige Investitionsbewegung, die sich daraus ergibt, lässt sich dann wieder spekulieren.

 

 

II. Die Rolle der Politik

 

Standortpolitik der Stadt

Häufig ist in den Debatten um Stadtentwicklung zu hören, dass die Kommune sich aus der Wohnungspolitik verabschiedet habe:

„Jede praktische Wohnungspolitik wäre eine Wende im Vergleich zur jetzigen Situation, weil im Moment schlicht keine Wohnungspolitik existiert. Wir haben unter der »rot-roten« Regierung wie auch schon unter dem CDU-SPD-Senat einen Kahlschlag erlebt: Die Kürzung aller Fördermittel im sozialen Wohnungsbau und der sozialen Stadterneuerung auf Null, den Verkauf von mehr als 200000 öffentlichen Wohnungen. »Rot-rot« hat das Baurecht derart liberalisiert, daß in der Innenstadt heute noch dichter gebaut werden kann als zur Gründerzeit.“ (Andrej Holm in einem Interview mit der Jungen Welt, 30.04.2011, Beilage, S. 1.)

Auf der anderen Seite gibt es dann die Verweise auf die standortpolitischen Pläne und Aktivitäten der Stadt. Das Projekt Mediaspree z.B. ist von der Stadt Berlin initiiert, unterstützt und mit umgesetzt worden. Nicht nur in Berlin, sondern auch in anderen Städten lässt sich aufzeigen, wie sich Stadt und Bezirke darum bemühen, bestimmte Unternehmen in ihre Region zu holen, Mieterschaften mit Zahlungskraft anzulocken, dabei auf das Immobilienkapital setzen und dafür Menschen mit geldmäßig nicht so nützlichen Aktivitäten wie Hartz IV, Skateboardfahren, oder Obdachlosigkeit, usw. indirekt oder direkt zu vertreiben.

Zusammengefasst lautet die verbreitete Vorstellung so: Früher habe der Staat oder die Kommune durch ordnungspolitische Maßnahmen wie sozialen Wohnungsbau, Mietobergrenzen etc. ausgleichend gewirkt. Heute dagegen werden die armen Menschen vernachlässigt und dem Kapital Tür und Tor geöffnet. Der Staat oder die Stadt habe mal neutral, ausgewogen gewirkt – heute nicht mehr.

 

In dieser Vorstellung sind falsche Vorstellungen über Wohnungspolitik oder Stadtpolitik enthalten, die alle drei Ebenen der staatlichen Aktivität betreffen. Die drei Ebenen sollen hier in folgender Reihenfolge abgehandelt werden: Wirtschaftsförderung, Regulation und Freisetzung von Eigentum.

 

Wirtschaftsförderung

Am Fall Mediaspree ist das Interesse der Stadt sehr offensichtlich. Mithilfe einer Raumplanung, der finanziellen Unterstützung eines Interessenverbandes von Unternehmen und dem schließlichen Verkauf von Grundstücken wird ein Stück Stadtraum explizit für den Zweck Wirtschaftswachstum aufbereitet. Es sollen sich Unternehmen ansiedeln, die erfolgreich ihr Geld vermehren. An dieser Ecke kann man zunächst noch einfach sagen: Die Stadt ist von Geld abhängig, das sie nicht selbst verdient, sondern das Andere verdienen sollen. Über Steuern verschafft sich die Stadt dann die Masse Geld für alle möglichen Projekte.

Soweit es um Wirtschaftswachstum und daher Wirtschaftsförderung geht, ist es oft einfach sichtbar, dass nicht nur ärmere Menschen, sondern auch vergleichsweise schwache Unternehmungen dem Projekt im Weg stehen.

 

Schlecht wäre an dieser Stelle zu sagen: Wirtschaftswachstum, das ist ja o.k., aber wenn dabei die Mieten ansteigen und der öffentliche Raum privatisiert wird, dann bitte nicht. Man muss sich schon klarmachen, dass die materielle Ausgrenzung nicht erst beim Wohnungsmarkt anfängt. Wirtschaftswachstum zählt die geschäftlichen Erfolge aller Bürger zusammen und ist erfolgreich, wenn die Summe gestiegen ist. Klarmachen muss man sich, dass da ein Stoff zusammengezählt wird – nämlich in Geld bemessener Reichtum – der nur über den Konkurrenzweg zu bestreiten ist. Und Konkurrenz schließt Verlierer notwendig ein. Das betrifft Unternehmen untereinander, das betrifft aber vor allem diejenigen, die sich als Lohnarbeiter für die Unternehmen krumm machen müssen oder gar nicht gebraucht werden.

 

Das Projekt kapitalistische Wirtschaftsförderung richtet sich auf jeden Fall gegen arme Menschen. Wer aber das Projekt nicht mag, weil da für die armen Menschen als arme Menschen dann kein Platz mehr ist, dessen Interesse oder Mitleid hat eine komische Form angenommen. Es richtet sich nicht gegen das kapitalistische Wirtschaftswachstum, weil es Armut hervorbringt, sondern weil es die Armen als Arme nicht in Ruhe lässt.

 

Die stadtpolitische Standortpolitik ist notwendig spekulativ (Im Gegensatz zu gesellschaftlich verbreiteten moralischen Abwertung, die im Adjektiv „spekulativ“ drinsteckt, soll hier erstmal nur sachlich festgehalten werden, dass auf eine unsichere Zukunft geplant wird. Unsicher nicht, weil es auch mal regnen kann, sondern notwendig unsicher, weil auf die Entwicklung einer Konkurrenzangelegenheit gesetzt wird). Die Stadt will für zukünftige Geschäfte gute und attraktive Bedingungen schaffen. Ob das von der Geschäftswelt angenommen wird, hängt ab von deren eigener konkurrenztechnischen Entwicklung und zweitens davon, ob nicht andere Städte attraktivere Angebote machen. Albern ist es bei einem Projekt, aus dem nichts geworden ist, danach zu behaupten: Das hätte man ja vorher wissen können.

 

Exkurs: Warum gibt es soviel Büroflächenleerstand und dann wird noch ein Geschäftsviertel hochgezogen anstatt billigen Wohnraum draus zu machen? Die Sache erklärt sich aus der Spekulation, die verschiedenste Akteure betreiben:

Der Staat (bzw. die Stadt) ist in seiner Standortpolitk schon spekulativ unterwegs. Er fördert die Erschließung von Bürotürmen, ohne dass er weiß, ob die Unternehmen sich nicht lieber woanders ansiedeln (weil Hamburg oder Amsterdam noch bessere Angebote haben). Und wenn sie kommen, weiß er nicht, wie erfolgreich die Unternehmen sein werden. Eines ist aber klar: Für eine plötzliche Expansion des Kapitals muss immer genügend freier Raum vorhanden sein und zwar gegenwärtig. Am knappen Raum soll keine Expansion scheitern.

Die einzelnen Immobilienkapitale treten wiederum in derselben Stadt in Sachen Bürotürme bauen gegeneinander an und versuchen, sich die Unternehmen abspenstig zu machen. Die Unternehmen nehmen eine besseres Angebot natürlich gerne an – auch wenn man am alten Ort seine Rendite gemacht hätte. Exkurs Ende.

 

Regulation

Während der Wirtschaftspolitik nachgesagt wird, da kümmere sich die Stadt einseitig um das Kapital (oder plumper: um die Reichen), wird man bei anderen Aktivitäten fündig: Hier macht die Stadt auch mal was für die normalen Menschen, die Mieter oder die Armen. Sozialer Wohnungsbau, Sanierungsgebiete mit Mietobergrenzen, Beschränkungen von Mieterhöhungen in laufenden Verträgen. Zwar werden auch diese Sachen skeptisch darauf begutachtet, ob nicht auch hier das Kapital zu sehr zum Zuge kommt, aber immerhin: Hier wirke die Stadt ausgleichend, da sei die Stadt irgendwie für alle da.

 

Der Irrtum liegt bei einer falschen Annahme über den Bezugspunkt der Stadt, warum sie Kapitalinteressen auch beschränkt und armen Menschen auch unter die Arme greift.

Der Bezugspunkt war nämlich niemals der: Die Stadt findet entgegengesetzte Interessen vor und beschränkt beide irgendwo in der Mitte.

Der Bezugspunkt war und ist immer der, dass das eigene Stadtziel erreicht wird. Dazu ein Beispiel:

In Berlin sind Mieterhöhungen bei bestehenden Verträgen durch die Regel bestimmt, dass die Miete alle drei Jahre um höchstens 20% erhöht werden darf. Weiter wird alle zwei Jahre ein Mietspiegel erstellt, der mit allen Lücken und Tücken die Durchschnittsmieten einer bestimmten Wohnungsklasse erfasst. Über diesen Durchschnitt hinaus dürfen die Vermieter die Mieten in bestehenden Verträgen nicht erheben (von Modernisierung und Staffelmietverträgen hier mal abgesehen).

Das Interesse der Vermieter an Mietsteigerungen ist hier anerkannt und wird erlaubt. Zugleich wird es beschränkt.

Das Interesse der Mieter an Mietsenkungen ist hier nicht im Besonderen anerkannt. Was anerkannt ist, ist das Interesse, mit der Mietentwicklung der eigenen Wohnung kalkulieren zu können. Durch diese Art der Regulation kann sich jeder Mieter frühzeitig die Frage vorlegen: Muss ich mit einer Mietsteigerung rechnen? Wenn ja, wie hoch wird die ausfallen? Und dann: Kann und will ich den Preis in Kauf nehmen und dafür bei anderen Konsumtionsgütern Abstriche machen oder stelle ich mich auf einen Umzug ein?

Die Stadt nimmt in dieser Regelung zur Kenntnis, dass eine unbeschränkte Mietentwicklung ein Leben als Lohnarbeiter verunmöglicht. Wer von heute auf morgen feststellen muss, dass er die Wohnung verlassen muss, der kann schlecht als Lohnarbeiter in der Gegend dienstbar sein oder auch als Lehrer an einer staatlichen Schule. In anderen Ländern wie etwa Großbritannien gibt es solche Mietentwicklungsgesetze nicht. Dort wird derselbe Zweck durch housing benefits und Sozialwohnungen verfolgt.

Die Wirtschaft braucht dienstbares Personal vor Ort und das versucht die Stadt durch gesonderte Regularien sicherzustellen.

Nicht erst bei der Wirtschaftsförderung im engeren Sinne, sondern auch bei der Betreuung der Interessenkollisionen hat die Stadt ihren Standort als Geldmaschine im Blick.

 

Daher ist es auch kein Wunder, wenn die Stadt auch mal austestet, ob es nicht auch ohne sozialen Wohnungsbau vor Ort irgendwie geht. Das zynische ist, dass sie dann abwartet, ob die Betroffenen sich rühren. Ihr Protest ist dann ein Indikator dafür, ob die Stadt nicht übertrieben hat und wieder ein paar abfedernde Maßnahmen notwendig sind. Nimmt die Stadt solche Proteste auf und gibt ihnen ein wenig Recht, ist das nicht ein Ausweis dafür, dass die Stadt eine freie Fläche ist, auf der ein Kräfteverhältnis sich hin und her verschiebt. Die Stadt hat ein eigenes Interesse und von diesem aus nimmt sie Bezug auf die bestehenden Interessen und gibt ihnen mal mehr oder weniger Recht.

Auch in den 90ern, als in Berlin Sanierungsgebiete ausgeschrieben wurden und die Immobilienbesitzer sich auf Mietobergrenzen verpflichtet haben, wenn sie die großzügigen Subventionen der Stadt erhalten haben/wollten, war klar, dass Verdrängung stattfinden wird. Es ging um eine „sanfte“ Veränderung der Bevölkerungsstruktur. Das war im eigensten Interesse der Stadt und nicht einfach eine Wohltat für arme Schlucker.

 

Setzung von Freiheit und Eigentum

Aber was heißt hier eigentlich „bestehende Interessen“? Findet der Staat oder die Stadt diese eigentlich einfach so vor und reagiert dann auf dieselben mit den Regulierungen?

Beim Grundeigentum wird es fast augenscheinlich, dass diese Erwerbsquelle eine reine staatliche Lizenz ist. Die Freiheit, über das Grundeigentum nach eigenem Belieben unter Ausschluss aller anderen Menschen zu verfügen, nimmt seinen Anfang schlicht in einem Eintrag im Grundbuchamt. Der Staat führt Buch darüber, welcher Flecken seines Herrschaftsterritoriums unter die Verfügungsmacht von Privatpersonen fällt.

So schafft der Staat spiegelbildlich die Figur des Mieters, also Personen, die nicht über Grund und Boden verfügen und für die Nutzung von den Besitzenden einen Tribut zahlen müssen. Nicht erst bei der Wirtschaftsförderung oder bei der Regulation, sondern schon hier im Grundprinzip kann man sehen, dass der Staat die Macht des Geldes ins Recht setzt.

Oben bei der Wirtschaftsförderung hieß es noch: „Die Stadt ist von Geld abhängig, das sie nicht selbst verdient, sondern das Andere verdienen sollen. Über Steuern verschafft sich die Stadt dann die Masse Geld für alle möglichen Projekte.“ Richtig heißt es: Der Staat und die Stadt machen sich von einer Gesellschaft abhängig, in der sich alles um die Geldvermehrung dreht. Das ist das gewollte politische Programm.

 

Fazit: Der Staat – und damit auch die Stadt als Unterabteilung – schafft die ökonomischen Kreaturen, die dann in Konflikt miteinander stehen. Für das Gelingen der Geldvermehrung vor Ort bemüht sich der Staat bzw. die Stadt die daraus resultierenden Konflikte so zu regeln, dass ein Gesamtwachstum klappt.

Gelingt das Verhältnis, will die Stadt den Kapitalismus durch die gesonderte Förderung bestimmter Interessengruppen besonders gut bei seiner Entwicklung unterstützen. Das Gesamtwachstum soll möglichst hoch sein. Das Gesamtwachstum ist das des in Geld bemessenen Reichtums. Dieser wird notwendig auf dem Konkurrenzweg beschritten und schließt daher mit Notwendigkeit Verlierer ein.

 

Die Rolle des kreativen Milieus in der Standortpolitik

Die Kunst ist selber ein Aushängeschild der Stadt in der Standortpolitik. Darauf haben beispielsweise die Künstler im Gängeviertel Hamburg ja auch spekuliert und daher auch ein wenig Recht bekommen.

Kleine Ich-AGs, Kneipen- und sonstige Geschäfte werden im Quartiersmanagement unterstützt, damit überhaupt was in Gang kommt, Gebäude durch Nicht-Benutzung nicht verfallen, zahlungsfähigere Mieter angelockt werden etc. Dass die Unterstützung nur gewährt wird, damit ein selbstständiges Geschäftsleben in Gang kommt, wird explizit gesagt. Dass diese kleinen Unternehmer dann später weichen müssen, ist ebenfalls kein Geheimnis.

(Das geht natürlich auch ohne direkte Einflussnahme seitens der Stadt. Die Vermieter überlassen ihre Erdgeschossräume kleinen Initiativen, damit Miete hereinkommt und die Gebäude benutzt und damit erhalten werden. Die Mietverträge sind derart gestaltet, dass eine Mieterhöhung in ein paar Jahren schon festgelegt ist bzw. Neuverhandlungen fällig werden. Auch hier ist klar, dass die Initiativen als vorübergehender Posten behandelt werden.)

 

Als Mosaikstein innerhalb der Stadtentwicklungspolitik macht das kreative Milieu seinen kleinen Beitrag – das liegt gar nicht in dessen Hand. Hier den Grund für die Mietentwicklung zu suchen, ist aber ein wenig hoch gegriffen, als Selbstkritik überschätzt man sich selbst.

Daher eine Präzision. Die populäre falsche Erklärung lautet: Die Reichen und das kreative Milieu treiben die Mieten in die Höhe. Richtig ist: Erfolgreiche Standortpolitik befördert das kapitalistische Geschäft, auf dessen Grundlage die Grundeigentümer die Mieten anziehen können.

 

Wem gehört die Stadt? - Der Stadt natürlich!

Daher ist die Frage „Wem gehört die Stadt“ schlecht gestellt. Die Stadt ist als kommunaler Teil des Staates ein Projekt desselben. Besser ist die Frage: Was ist der Zweck der Stadt? Dann kann man sich auch erklären, warum manche Leute zunehmend in der Stadt nichts zu suchen haben und andere schon.

Schlecht ist auch die Vorstellung von kommunalen Besitz als Allmende = unser Besitz im Gegensatz zum Privaten. Staatlicher Besitz schließt erstmal alle aus und was damit passiert richtet sich nach den Kalkulationen des Staates.

Wer von „unserem Kiez“ oder „unserem Berlin“ redet, der macht sich erstens eine Illusion über die Lebensverhältnisse, in der er oder sie steckt. Das konkurrenzmäßige Gegeneinander im Alltag wird gedanklich in ein Gemeinschaftsprojekt verwandelt. Zweitens macht die Person sich – wie im Nationalismus – ideell schon wieder gemein mit der Herrschaft, der sie unterworfen ist.

 

Die Stadt ist doch nicht autonom genug - oder?

Man könnte folgendes gegen unsere Argumentation einwenden: „Die Vorstellung eines 'eigenen Stadtziels' unterstellt ein Maß an lokaler oder kommunaler Autonomie, die es so nicht gibt.“

Die Stadt ist eben nur föderaler Bestandteil des Staates BRD. Da kann man sagen, stimmt, der Stadt sind bestimmte Grenzen ihrer Politik durch diese Einbettung gegeben. Oder andersherum: So ist die Stadt und jeder Politiker, der sich darin betätigt eben ein aktives Vollzugsorgan des gesamtstaatlichen Zweckes BRD. Und: Innerhalb dieser Ordnung steht der Stadt unterhalb der gesamtstaatlichen Schranken eine Autonomie zu, hat sie eigene Politiker, eigene Strategien usw.

Oder aber mit dem Einwand ist folgendes gemeint: „Die Stadt hängt von der wirtschaftlichen Entwicklung vor Ort ab, also was sie an Gewerbesteuern einnehmen kann und daher ist sie nicht autonom.“ Dann muss man sagen, dass diese Abhängigkeit eine politisch selbst gewählte und gewollte Abhängigkeit ist – sei es lokal, sei es im gesamtstaatlichen Zusammenhang. Auch Berlin ist Teil der politischen Gewalt und die steht über dem Geschäft, will was vom Geschäft und macht entsprechend etwas für das Geschäft. Die politische Gewalt ist nicht Ausdruck des ökonomischen Kräfteverhältnisses, sondern sie richtet dieses ein und erhält es aufrecht. Das Kräfteverhältnis ist entschieden und zwar zugunsten der politischen Gewalt.

 

Eine zynische Konsequenz der alltäglichen Gegenwehr gegen Stadtentwicklung: Verherrlichung von Armut

Neben den alle drei Jahre möglichen Mieterhöhungen um bis zu 20% bis zum Mietspiegel, ist die Modernisierung der zweite Weg, um bei bestehenden Mietverträgen die Miete zu erhöhen. Von den Kosten, die über den bloßen Erhalt der Wohnung hinausgehen, kann der Vermieter 11% auf die Jahresmiete umlegen. Ein neuer Balkon zieht dann in einer 100 qm Wohnung locker mal einen Euro mehr Miete pro Quadratmeter nach sich.

Angesichts knapper Geldbeutel kommt es dann bei den Mietern zur folgenden absurden Aktivität:

Sie wollen mit allen Mitteln verhindern, dass die Wohnung, in der sie leben, verbessert wird. Ganze Heerscharen von Mietern kämpfen darum, dass ja kein Balkon an die Wohnung gebaut wird. Mietergemeinschaften unterstützen die Mieter in ihrem Rechtskampf gegen eine Verbesserung der Wohnqualität.

Dieser Irrationalismus ist nicht einfach ein Fehler, sondern ein in dieser Gesellschaft notwendig aufgeherrschter „Fehler“. Dass man sich so verhält, spricht erstmal nicht gegen das Verhalten, sondern gegen die Verhältnisse, die ein solches Verhalten notwendig machen.

Anders sieht es schon bei dem nächsten Punkt aus: Versucht ein Bezirk, den Kiez für zahlungskräftigere Schichten aufzuhübschen, dann findet z.B. eine Verdrängung von Obdachlosen aus einem Park statt. Das ist eklig und zynisch. Die Menschen werden nur als Problem behandelt, die ärmliche Grundlage ihres Daseins wird nicht aus der Welt geschafft, sondern sie werden verdrängt und müssen dahin ziehen, wo ihnen das gleiche früher oder später abermals widerfährt. Initiativen, die daran Anstoß nehmen, organisieren ihre Proteste allerdings häufig unter einem Motto wie: „Der Park ist für alle da.“ Wer den Protest auf diese Forderung zusammenkürzt, verhält sich ebenfalls recht zynisch, weil darin auch die Armut der Obdachlosen in keiner Weise angegriffen wird. Diese Position mag sympathischer daher kommen, weil sie die Armen in ihrer Armut nicht noch zusätzlich gängelt oder bedrängt. Überhaupt nicht sympathisch ist aber der Gedanke, dass es Armut eben gibt und es für alle, die Reichen wie die Armen, Platz geben sollte. Das ist eine Akzeptanz und nicht die Kritik von Armut. In diese Falle laufen auch alle Initiativen, die fordern, es solle keine Verdrängung der Armen aus dem Kiez geben. Darin ist die Bewahrung der schon bestehenden Armut, also dass etwa eine Migrantenfamilie mit 5 Kindern weiter in einer 2-Zimmer Erdgeschosswohnung leben kann, als Ziel gesetzt.

An dieser Stelle wird manch einer uns den Vorwurf des Zynismus machen, nach dem Motto: „Ihr könnt gut reden, dadurch ändert sich für Leute auch nichts, und immerhin kann ein Protest die Verschlechterung der Lage ja auch mal abmildern.“

Dazu: Wir schlagen nicht vor, aufzuhören, sich gegen Verschlechterungen innerhalb des Systems zu wehren. Der Tipp wäre alleine deswegen schräg, weil das System einem gar nicht die Wahl lässt. Man muss sich hier wehren, alleine damit man nicht vollkommen unter die Räder gerät. Das tun wir auch, im Alltag alleine oder organisiert in Mietergemeinschaften, Betrieben etc. Wir warnen an dieser Stelle nur davor, die zynischen Konsequenzen des Systems auch noch geistig mitzumachen - denn dann ändert sich bestimmt nichts Grundlegendes und damit darf man dauerhaft für sein Dasein als armer Mensch oder das Dasein anderer als arme Menschen kämpfen.

 

Zum Text:

Die Gruppe Jimmy Boyle hat im Juni 2011 in der Reihe agitare bene eine Veranstaltung zum Thema Gentrification gemacht. Das Referat wurde verschriftlicht und veröffentlicht. In diesem Text wurde öfters Bezug auf Andrej Holm genommen, der zu diesem Thema publiziert und politisch arbeitet. Andrej hat uns einen Leserbrief geschrieben, der hier zu finden ist: Leserbrief. Wir haben wiederum eine Antwort geschrieben, die dahinter zu finden ist. Weiter ist der Ursprungstext entlang dieser Debatte überarbeitet worden. Darin haben wir Kritiken von Andrej aufgenommen, an anderer Stelle unsere Kritik an Positionen von ihm präzisiert.