05.06.2015 PDF

Der Streik der GDL und die öffentliche Empörung

Worum es wirklich geht: Streit über die Zulässigkeit einer gewerkschaftlichen Strategie

Wenn man ein bisschen genauer hinguckt, dann kann man z.B. aus der Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung durchaus herausfiltern, worum es bei dem Streik geht.

Die Gewerkschaft der Lokomotivführer (GDL) will eben nicht nur für die Lokomotivführer Lohnerhöhungen durchsetzen, sondern auch für andere Beschäftigte bei der Bahn, die Mitglieder bei der GDL sind. Dann gibt es noch die EVG (Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft), die Mitglied im DGB ist und gleichfalls um Lohnerhöhungen bei diesen anderen Beschäftigten verhandelt.

Das Unternehmen, die Bahn AG, will aber nur dann einen Abschluss mit der GDL machen, wenn dieselben Verträge herauskommen, wie in den Verhandlungen mit der EVG. Das lehnt der Gewerkschaftschef der GDL strikt ab.

Die Tarifverträge von EVG und GDL seien `niemals zu vereinbaren`“, zitiert ihn die SZ (05.05.2015, S. 2).

Dass die GDL über Lokomotivführer hinaus Mitglieder bei der Bahn gewonnen hatte, verdankte sich schließlich dem Einsatz ihrer Macht gegen einen Tarifabschluss, den die Vorgängerorganisation der EVG mit der Bahn AG abschließen wollte, der u.a. bis zu 18 zusätzliche unbezahlte Schichten pro Jahr bei DB Regio vorsah“ (wikipedia – GDL) – für die Zugbegleiter.

Das „Ungeheuerliche“ ist, dass die GDL glatt folgenden einfachen strategischen Gedanken des ökonomischen Arbeitskampfes anwendet: Wenn man aufgrund eines sehr hohen Organisierungsgrades in einem entscheidenden Bereich des Betriebes die Macht hat, dem Unternehmen durch Streik Schaden zuzufügen, dann setzt man diese Macht ein, um für diejenigen Arbeiter im Betrieb, die nicht so gut organisiert sind, etwas herauszuholen. Darüber bekommt man neue Mitglieder und verstärkt so die gewerkschaftliche Macht.

Diese Strategie verfolgen die Gewerkschaften des DGB bewusst nicht. Wenn es um den Lohn der Gebäudereiniger geht, die immer am untersten Ende der Lohnhierarchie stehen, dann ist die IG Bau zuständig. Sie kämpft auf Grundlage eines schlechten Organisierungsgrades und Erpressungspotentials, wenn die Putzkräfte leichter austauschbar sind. Wenn es aber um einen Automobilbetrieb geht, warum wird dann nicht mal die gut organisierte und nicht so leicht austauschbare IG-Metall-Macht eingesetzt, um für die Reinigungskräfte ordentliche Lohnerhöhungen und bessere Arbeitsbedingungen herauszuholen?

Stattdessen fühlen sich die DGB-Gewerkschaften für ihre Nation und deren Wirtschaft verantwortlich - egal wie wenig sie dabei eigentlich zu bestimmen haben. Mit der Sozialpartnerschaft als Prinzip sind sie immer dabei, auf den Standort Rücksicht zu nehmen und Lohngruppierungen mit allerlei Gefälle zu akzeptieren, wenn der Gewinn in der Branche das verlangt.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Die GDL will die Lohnarbeit nicht abschaffen, auch sie orientiert sich an Lohngruppierungen und sie ist bestimmt keine antinationale Organisation. Nur meint sie eben, dass man für die Arbeiter mehr herausholen kann und sollte. Und sie hält das zu Recht für unvereinbar mit den Strategien der DGB-Gewerkschaften.

Die Politik weiß sehr genau, worum es bei diesem Streit zwischen Bahn AG, der EVG und der GDL geht. Daher hat sie sich entschlossen, den kleineren Spartengewerkschaften zugunsten der DGB-Gewerkschaften das Leben schwer zu machen. Mit dem Gesetz zur Tarifeinheit, nach dem in einem Betrieb im Streitfall nur der Abschluss der mitgliedsstärksten Gewerkschaft Geltung haben wird, will sie die GDL und damit deren Strategie machtlos machen. Alleine die Planung des Gesetzes hatte den Druck auf die GDL erhöht, die Bahn durch rücksichtslosere Schädigung zum Umdenken zu bringen.

Die öffentliche Empörung

Allerdings muss man solche Sachen aus der Berichtserstattung herausfiltern. Überwiegend findet die Presse (z.B. SZ, FAZ, BILD inklusive der sonstigen Springer-Verlag Presse) , ebenso wie die Politik, ein solches Gewerkschaftsverhalten unanständig und spricht der GDL-Strategie jede Legitimität ab. Das geht so:

Der Chef der Gewerkschaft wird als machtgeil dargestellt. Warum da tatsächlich eine Machtprobe ansteht, wird damit weggewischt. Alles erkläre sich aus einer subjektiven Macke des GDL-Vorsitzenden. Damit soll auch die Basis der gewerkschaftlichen Macht, die gut organisierten Lokführer, angesprochen werden, nach dem Motto: Ihr könnt euch doch nicht wohlfühlen, wenn ihr von einem Verrückten angeführt werdet.

Auf den Schaden, den die Wirtschaft durch Transportausfall nimmt, wird verwiesen. Die ganze nationale Wirtschaft würde in Geiselhaft genommen, nur wegen ein paar Zugbegleitern oder Lokrangierführern. Damit wird die Politik angefeuert, das Gesetz zur Tarifeinheit konsequent und zügig durchzusetzen.

Aber nicht nur die Wirtschaft, nein, auch die Lohnabhängigen und sonstigen armen Würstchen der Republik würden von der GDL in Geiselhaft genommen werden, sie könnten nicht pünktlich zur Arbeit, in den Urlaub fahren usw. Unterstrichen wird das Leid mit der offensiven Schilderung der beknackten Situation moderner Lohnabhängiger:

Wer in jenen Jahren steht, die man verniedlichend `Rushhour des Lebens` nennt, wer seinen Alltag also zwischen Familien- und Arbeitsleben so streng durchgetaktet hat, dass oft zehn Minuten über den Unterschied zwischen Belastung und Stress entscheiden, der hat nun schon vor Streikbeginn eine rechte Wut im Bauch.“ (SZ, S. 4)

Die Süddeutsche Zeitung unterfüttert also ihre Kritik der gewerkschaftlichen Strategie, Belastung und Stress zu vermindern, auch dort, wo die Leute nicht so gut organisiert sind, mit genau den Alltagssorgen, die ein Lohnarbeiter in modern times hat. Sie unterstellt die Leute als solche, die sich den absurden Anforderungen der kapitalistischen Lohnarbeit stellen wollen, sich also mit ihnen arrangieren wollen ̵ und redet ihnen ein, dass sie sich dann aber das Recht verdient haben, auf jeden hemmungslos zu schimpfen, der dieses Sich-Einrichten behindert.

Was man daraus lernen könnte

Wenn der Großteil der Politik und Öffentlichkeit sagt, dass es nicht sein darf, wenn besser organisierte Abteilungen der Arbeiter sich für andere Abteilungen einsetzen, dann ist das ein Bekenntnis zur Notwendigkeit von prekären Arbeitsverhältnissen. Das ist ja auch sonst kein Geheimnis, dass sich abgesehen von ein paar linken Ausnahmen alle Parteien und Zeitungen einig sind, dass Deutschland so gut dasteht, weil es mit den Hartz IV-Reformen die Armut der Lohnabhängigen flächendeckend forciert hat. Was ist, wenn das stimmt und die linken Ausnahmen wie Die Linke unrecht haben? Wäre es dann nicht mal an der Zeit zu fragen, ob Deutschland oder nationales Wirtschaftswachstum glatt das Gegenteil von einer sicheren Versorgung ist – zumindest für diejenigen, die kein Kapital haben?

So sehr wir auch der GDL ein bisschen die Daumen drücken, wäre dann aber auch etwas anderes fällig, als der Kampf um „faire Löhne“ (GDL). Was soll das sein? Entweder ein Lohn reicht zum Leben oder noch besser dazu, dass sich das Leben auch entwickelt oder eben nicht. Mit „fair“ wird so getan, als wenn das Verhältnis von Unternehmen und Lohnarbeit eine win-win Situation sein könnte, bei der beide Seiten etwas hineingeben und dafür einen Nutzen herauskriegen. Dabei führt die Bahn AG der GDL doch praktisch immer wieder vor, dass das Interesse am Gewinn auf Kosten der Lohnabhängigen geht. Ideologisch nimmt die Bahn AG das Argument der win-win Situation auf, wenn sie der GDL vorrechnet: Gerade die Lohnabhängigen sind vom Gewinn der Bahn AG abhängig und dann könnt ihr den doch nicht gefährden, weil eure Mitglieder davon doch leben!

Daher wäre uns folgender Standpunkt lieber: Streiken für bessere Arbeitsverhältnisse ohne zu begründen, warum das Andere, insbesondere das Unternehmen, einsehen sollten, dass das doch o.k. ist. Rausholen, was rauszuholen geht. Die Feindschaft, die das Unternehmen, die Öffentlichkeit und die Politik aufmacht, zum Anlass nehmen, um über die grundsätzliche Unvereinbarkeit von sicherer/stressfreier Lebensführung auf der einen Seite und Gewinn und davon abhängige Lohnarbeiter auf der anderen Seite aufzuklären. Denn eines ist klar: Sollte die GDL doch noch Erfolg haben, wird die Bahn nach neuen Wegen suchen, den Lohn zu mindern und die Arbeitszeit auszudehnen oder zu intensivieren. Vielleicht mit einer neuen Billig-Bahn-Abteilung, wie Lufthansa das gerade mit Germanwings macht? Daher: Lohnarbeit lohnt sich nicht für die Lohnarbeiter, egal ob als GDL-Lokführer oder Mini-Jobber. Dass sie für die meisten der einzige Weg ist, den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten, macht die Sache weder besser noch erträglicher.1

Ein Text von den Gruppen gegen Kapital und Nation – 01. Juni 2015

1Mehr, warum das so ist, in dem Buch: „Die Misere hat System: Kapitalismus.“. Hier gegen Spende zu bestellen oder umsonst als PDF/ebook.