21.02.2002 PDF

Dealer, anständige Bürger und die Dirty Work

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Mit kaum einer Tätigkeit sind seit den 80er Jahren mehr Wahnvorstellungen und vernichtendere Werturteile verknüpft, als mit dem illegalen Drogenhandel. Über kaum jemanden wollen die mediatisierten BürgerInnen derart bescheidwissen, wie über den Dealer: Er lauere in Discos, wo er ahnungslosen BesucherInnen Drogen ins Getränk schütte und TänzerInnen, sobald sie verschnaufen, zum nächsten XTC-Trip pushe. Weiter betreibe der Dealer mittlerweile - o tempora, o mores - auf immer mehr Schultoiletten und Pausenhöfen sein leidbringendes Geschäft. Dort streue er LSD getränkte Hochglanzpapierschnippel unter die Pennäler. Anfixen, Aussaugen, Liegenlassen - das kennzeichnet nach herrschender Ideologie den Alltag in seinem Beruf.

Solcherlei verzerrte Wahrnehmung über Leute, die in Ihrem Job zunächst mal das gleiche machen wie Kaffeehändler oder Kornbrenner, nämlich wegen der Aussicht auf Profit, eine Rolle im Zirkulationsprozeß psychoaktiver Substanzen zu übernehmen, verdankt im Ausgangspunkt ihre Fähigkeit zur Massenbegeisterung einem pathologisierendem Blick auf die KonsumentInnen illegalisierter Drogen, sowie einem dämonisierenden auf die Stoffe selbst. Allverbreiteter Logik folgend, fungieren diese als Problemverdränger und Fluchthilfe aus der Realität. Heuer wird die Rede über die Gründe für die falsche, ja krankhafte Verhaltensweise, angeblich hauptsächlich bei Kindern und Adoleszenten anzutreffen, forciert: Die Motive für Flucht liegen - der Logik der Drogenkrieger folgend - irgendwo zwischen zerrüttetem Elternhaus, überzogenem Leistungsdruck, schlechtem Sex in suspekter Clique und frühkindlichem Gefühlsmatsch. Illegale Drogen sind verlogen, die der Natur der Sache gemäß, gehetzt über "die Szene" und den Bahnhofvorplatz schließlich auf die dortige Toilette führen.
Die ihnen Anheimgefallenen sind dem Bilde nach Opfer, unfähig, mit der Welt fertig zu werden und deshalb erst recht schutzlos der jeweiligen Substanz ausgeliefert: Heroin, Crack und Designerdrogen klappen zumeist den Deckel hinter den ihr Hörigen zu, bevor "geholfen" werden kann. (1) Nach hegemonialer Logik sind die angeblichen Opfer der Drogen weiter - worauf hier focussiert werden soll - insbesondere die Opfer derjenigen, die für die Verfügbarkeit der Stoffe stehen: Opfer der Dealer. Genauer nachgehakt, was das Böse an ihnen ausmache, reiht sich in linksradikalen Enzykliken und massenmedialer Scheiße ein Vorurteil an das nächste. Ja, selbst wenn in seltenen Fällen Menschen die Erkenntnis sich aneignen, daß es Drogen solange gibt, wie eine Nachfrage nach ihnen existiert und sie erkennen, daß Dealer nicht sich händereibend über den Tod der KonsumentInnen amüsieren, sondern einfach am Gewinn interessiert sind, tut dies ihrem wahnhaften Willen zur Hatz keinen Abruch, der erst vor dem Hintergrund der Ideologie des nationalökonomisch beheimatetem, verantwortungsvollem Arbeitgeber überhaupt in abseitigem Licht nachvollziehbar wird. Ihm wird zugeschrieben, daß seine Funktion die Arbeitsplatzschaffung, resp. das Wohlergehen seiner Lohnabhängigen und die Entrichtung von Steuern an den Staat, der bekanntlich für uns und unser aller Interesse da sein soll, sei. In einem Zuge erscheint vor Bürgers Auge auf der anderen Seite das Zerrbild des irrespektablen Kapitalisten, der dies alles nicht tut, sondern mit Todesdrogen sein Geschäft im Rahmen global opperierender, geheimdienstartig organisierter Mafia macht. Er schafft angeblich nichts, sondern ist einfach steinreich und dabei intelligent und verschlagen, was sich im Ausfinden immer neuer Schmuggeltricks und Erfinden neuer Stoffe abbilden soll. (2)
Dealer seien eben verlogen und zu jeder Widerwärtigkeit bereit: In Zeiten der Flaute schicken sie die Freundin - es handelt sich um ein männlich besetztes Stereotyp - auf den Strich, während sie mordend neue Märkte erschließen; sie sind Schmarotzer, sind parasitär.
Die analytische Feststellung, daß die grundlegende Besonderung ihres Geschäftes lediglich die Nichtdeckung des Deals durch das staatliche Gewaltmonopol ist, wird wegen ihrer Distanz zum moralischen Verdikt als Häresie verfolgt. Zur Verteidigung des "Rechts auf Haß" wird munter pathisch projiziert, was sich konkret im Leben des Dealers ereigne. Auf einige Aspekte des dealerfeindlichen Vorurteils sei im Folgenden widerlegend eingegangen.

Die "global opperierende, geheimdienstartig arbeitende Drogenmafia"
Wird über den illegalen Drogenmarkt gesprochen, so projiziert man ironischerweise landläufig die Situation in der Legalwirtschaft zur Fratze der Parallelwirtschaft: Die Staatsräson und die Massenmedien gehen von einem oder wenigen Kartellen nach einem falschen Bild von der klassischen Mafia aus. Diese war in all ihren Erscheinungsformen (sizilianische Mafia, camorra, cosa nostra) nie eine zentral organisierte Gegengesellschaft, sondern stets ein Konglomerat einiger Dutzend Großfamilien, untereinander in verschieden intensiver Konkurrenz sich befindend. Im Bereich der illegalen Drogen findet man beim genaueren Blick nun eine noch größere Vielfalt an unabhängig agierenden Kernen in den verschiedenen Sphären des Handels und derselben vor. Konfigurationen, von denen die meisten mitnichten als mafiös bezeichenbar sind.
Der höchste Organisationsgrad besteht wohl im Endbereich der südamerikanischen Kokainproduktion. Die Gründe hierfür liegen nicht in erster Linie im aufwendigen Prozeß der chemischen Weiterverarbeitung der Kokainbase, sondern die spektakulären Zusammenschlüsse entstanden erst in jüngerer Zeit unter dem Eindruck wachsenden staatlichen Erzwingungsaufwandes. Sie blitzten vor dem Hintergrund der Eskalation des US-amerikanischen "War on Drugs" in Kolumbien auf. Die neuartige Vor-Ort-Bekämpfung mit der grenzüberschreitenden Aktivität der DEA und insbesondere der intensivierte Druck auf die Regierungen, Auslieferungsgesetze für Dealer zu verabschieden, sind Hauptursache für Kapitalkonzentrierung und sogenannten Narcoterrorismo.
In Laborsiedlungen werden die letzten chemischen Schritte der Kokainproduktion vorgenommen und diese Städtchen bergen viel Kapital, doch lassen sich effizienter verteidigen als einzelne Häuser. Wachgesellschaften wurden notwendig, weil staatliche Spezialeinheiten eine große Bedrohung darstellten, die in Kolumbiens cultura de la muerte (Kultur des Todes) an die Tradition anknüpften. Auch "Don" Pablo Escobar und andere Medienstars waren und sind Symptome dieser Entwicklung, beim Namen genannt von aller Welt als Feind erkannt. Von aller Welt ... nicht ganz: Escobar kam aus den Slums. Ihm wurde der Titel "Don" von denen, um die sich - wie Michael Jackson singt - keiner sorgt, verliehen; bald baute er Siedlungen für die SlumbewohnerInnen, bald stiftete er Grünflächen, Sportplätze und Schulen, bald fragte er Arbeitskräfte nach ... doch lassen wir dies.
Auch jene, realiter wohl mächtigsten illegalen Drogenhändler, verfügen nicht über hierarchisch strukturierte Großunternehmen, kontrollieren nur Teile der kokaveredelnden Industrie, haben in nicht einmal oligarchischer Marktposition primär nationale Bedeutung. Schon grenzüberwindende Schmuggler sind meistens Kleinunternehmer, keine Gehaltsempfänger. So die Kokabauern, die nicht mit der vorgehaltenen Waffe der Organisation einverleibt werden, sondern das Geschäft eigenmotiviert und auf eigene Rechnung erledigen. Angestiftet durch Tradition und Religiosität, angespornt durch konkurrenzlos gute Verdienstmöglichkeit. Der Handel mit Opiaten und Cannabisprodukten ist noch unkonzentrierter, sogar Polizeiberichte bestätigen, daß der größte Teil des Heroins über den "Ameisenhandel" in die Metropolen kommt, synthetische Drogen müssen aufgrund der Tatsache, daß jeder Chemiestudent sie herstellen kann (und viele es auch machen) erst gar nicht weit reisen, so daß man sich momentan den illegalen Markt als ein Netz verschiedenster kleiner Gruppen, die sich insgesamt arbeitsteilig zur Parallelwirtschaft ergänzen, jedoch aufgrund der jeweiligen eigenen Profitaussicht agieren, vorstellen muß. Ferner ist der Markt auf allen Ebenen recht strikt segmentiert.
Im Theoretischen finden sich folgende Gründe für das Geschilderte: Interessierte finden in allen Ebenen des Handels ob der hohen Gewinnspanne und der Leichtigkeit, der Ware habhaft zu werden, gute Einstiegsbedingungen vor; sei es in Thailand, Bolivien oder Holland. Von einer anderen Seite geriete eine große Organisation in der Parallelwirtschaft in Probleme, weil nur persönlich bekannten Menschen, im besten Falle Familienangehörigen, getraut werden kann. Getraut werden einmal wegen der Gefahr verdeckter Ermittler (bzw. späterer Kronzeugen nach §31 BtmG), aber auch wegen der der Verselbstständigung von Teilbereichen (Lockung höherer Gewinnaussicht und unternehmerischer Freiheit selbst). Ferner steht dem Interesse an Profitmaximierung per Fusion das lukrativere des Ausschaltens unliebsamer Konkurrenz per Denunziation gegenüber.

Die Lebenswelt der Akteure und die Gewalt
Der Dealer ist ein Stereotyp. Wer von denen, die am illegalen Drogenhandel beteiligt sind, durch die jeweilig Hetzenden als solcher und nicht als Mittelsmann, Kokakönig oder sonstwie bezeichnet wird, bleibt diffus. Soziologisch quantitativ aufgeschlüsselt sind die meisten Dealer Junkies (nur ungefähr 10-15% von Letzteren konsumieren hierzulande ausschließlich), oder Menschen, die bis auf den eingenen Konsum illegaler Stoffe ein erschreckend gewöhnliches Leben führen, so z.B. auch einem gesellschaftlich akzeptierten Beruf nachgehen. Grund genug sich anhand dieser, den Berufsalltag genauer anzuschauen, insbesondere mit einem Augenmerk auf die Art und Weise, wie mit der Nichtgarantierung der Verträge durch staatlicher Gewalt umgegangen wird. Auf dieser Spur verfolgten zu Beginn der 90er Jahre einige amerikanische Soziologen Kokain- und Crackhandelslinien (vom Gramm- in den 100 Grammbereich) zurück. Sie kamen zu Erkenntnissen, die den Gefolgsleuten von Mac Gyver, Tatort, Miami Vice, die - quiiiiiiiiiiiitschh, piè-èngpièèng, ratterratterratter, ahhhr-ghh- allein gegen die Mafia kämpfen, nicht unbedingt zur Befriedigung dienlich sein dürften. Bei ihren 80 Fällen sticht die Normalität des anfänglichen Wechsels zwischen der Kenntnis einer guten Kaufverbindung zum Schlüpfen in diese Marktposition als Gemeinsamkeit ins Auge. Dieser "shift" - so stellten sie fest - wird gewöhnlich geplant und bewußt vollzogen. Das Motiv zu dealen, lag bei diesen Menschen in der bürgerlichen Alltagswelt und anscheinend nicht in ihrer Boshaftigkeit. Die einen beginnen den Handel, um ihren eigenen Konsum besser finanzieren zu können, andere um durch größere Mengen an besseren Stoff zu gelangen, wieder andere, um die Schulden von Familienangehörigen oder den Unterhalt ihrer Schutzbefohlenen finanzieren zu können. In den meisten Fällen markiert der Einstieg ins Geschäft keinen Wechsel sonstiger Gepflogenheiten. Es war bei diesen Menschen üblich, daß die Größenordnung der gehandelten Menge Kokain sich vom Kleinst- in den Zwischenhandelsbereich und zurück verschob, als wie daß drogendealende Menschen das Geschäft auch wieder ganz verließen, wenn sie ihre Prioritäten oder Gewohnheiten änderten, oder an kapitalistischer Logik scheiterten.
Mitbringen muß mensch nämlich auch in diesen Job einiges unternehmerisches Geschick.(3) Ja, es ist in Teilen noch eine stärkere Dosis, als beim legalen Dealer vonnöten, weil eben nicht die glatte Variante der Einholung eines Zahlungstitels bei Nichterfüllung (vulgo: keine Knete für den Stoff) des Vertrages besteht, bei der Gerichte & Anwälte den Rest erledigen. Das Händlersubjekt ist auf sorgsames Abwägen der Kreditwürdigkeit eines/einer KundIn angewiesen, auch und gerade in der speziellen Situation des illegalen Handels auf den niedrigeren Ebenen, in der Unregelmäßigkeiten von Kundschaft und Zahlungsfrist relativ häufig sind. Denn gelegentlich werden Verträge nicht eingehalten. Häufig führt solch unternehmerisches Versagen zum Rückzug aus dem Handel. Mit Waffen zumindest haben Kleinhändler in der Regel nichts zu tun. Geht es um Koksdeals im größeren Stil, so wird dagegen in der Regel das Schießeisen mitgeführt. Es substituiert gewissermaßen staatliche Gewalt. Doch das Interessante ist, daß die Latenz, das Anzeigen der prinzipiellen Tötungsbereitschaft, die Funktion hat, es erst gar nicht zur Manifestation, resp. Exekution, kommen zu lassen. Und angesichts des doch regen und kontinuierlichen Handels mit verbotenen Drogen kann man nur recht selten in den hier in der Tat wachsamen, wie bilanzierungsfreudigen Massenmedien etwas über Schußwechsel in der Drogenszene lesen.
Hinter dem Gesetz steht das Schwert, die bösen Buben müssen es - archaisch anmutend - selbst mit sich führen, doch aus gutem Grund verbleibt es in den Ländern der ersten Welt in der Regel in der Scheide(4), da die entwickelten bürgerlichen Staaten einen starken Gegner darstellen; bei einer Aufklärungsrate von hierzulande über 90% bei Mordfällen bedeuten hohe Bleiemissionen große Gefahr für Geschäft und Freiheit.


Verschnittstoffe - Streckmittel
Sie sind in jedem Fall unerfreulich und werden den Drogen auf den letzten Ebenen des Handels zugesetzt. Kontrollen des Reinheitsgrades sind verboten und so ist schwankende Reinheit für Heroinspritzende sogar häufig tödlich, da berauschende und tödliche Dosis eng zusammenliegen - wahrscheinlich sogar die Hauptursache für Überdosierungen. Versucht man nun, für dieses Phänomen die Dealer verantwortlich zu machen, ist man gleichwohl auf dem Irrweg. Nur als sekundäres Problem erweist sich nämlich die jeweilige Stofflichkeit des Verschnittstoffes, was nichtsdestotrotz einer der beliebtesten Gegenstände zur Skandalisierung von Dealern ist. Heroin wird in aller Regel mit Milchpulver, Vitamin C oder Traubenzucker, Kokain mit Borax oder dem Laxativum Mannitol verschnitten. Doch es ist vorgekommen, daß auch Mörtel im Stoff gefunden wurde, der intravenös appliziert schwere Erkrankungen verursacht, oder sogar den Tod von Junkies bewirkte. Es gibt für dieses Streckmittel (wie im übrigen auch für Strychnin, das Drogenkrieger sogar im LSD finden wollen) keinen sinnvollen Grund und die real vorhandenen Fälle streben gegen Null.(5) In Puncto Verschnittstoffe erstrahlt die Prohibition, das Kontrollverbot gegen dessen Aufhebung Dealer keinen Einwand hätten, in ihrer ganzen Perfidie.

Anfixen
Eine alte Mär über die Dealer stellt das Anfixen dar, was für den Wahnhaften taugt, sein eigenes Konstrukt für schlüssig zu halten, denn da Heroin und LSD Todes- und Wahnsinnsdrogen sein sollen, stellt sich jenen die Frage, warum Menschen diese überhaupt nehmen sollten. Aufbauend auf das Zerrbild der Sucht ist man schnell beim hinterhältigen Discodealer ("Laß Deine Cola nicht aus den Augen"), der immer neue Absatzmärkte erschließen will, weshalb er Ahnungslosen "Suchtstoffe" ins Getränk schüttet. Kein derartiger Fall ist auch nur halbwegs glaubwürdig beschrieben, ja es entwirft sogar die "Schleswig-Holsteinische Zentralstelle für Suchtvorbeugung" Gegendarstellungen zur fixen Idee der allgegenwärtigen Gefahr.
Theoretisch spricht gegen das Szenario die Abhängigkeit des Rausches vom Gefühlszustand und vom Willen, sich auf das modifizierte Wahrnehmen einzulassen. Die Möglichkeit eines schlechten Trips ist bei dem, der über ihn nichts weiß - das mußte schon LSD-Erfinder Hofmann erfahren - am größten. Wenn die Wirkung nun nicht gefiel, besteht freilich auch kein Reiz zur Wiederholung; eingedenk, daß körperliche Abhängigkeit im nennenswerten Rahmen nur bei Opiaten eintreten kann und dazu die wiederholte Applikation binnen kurzer Zeitabstände vonnöten ist. Auch ergreift Heroin nicht den Geist des körperlich Abhängigen, so daß ihm bei Unbehagen mit seiner Abhängigkeit mannigfaltige Wege zur Entwöhnung offenstehen, wovon die wenigsten allerdings legal sind.
Ferner steht behaupteter Anfixpraxis der Wert des Stoffes entgegen: Der Verteilerhandel wird nicht von Gehaltsempfängern "der Drogenbosse" bewerkstelligt, für die es sich, wenn es sie so gäbe, eventuell rechnete, sondern eben von Usern oder Kleinunternehmern, die solche Kontingente nicht als Werbekosten absetzen können.
"Kokain mit dem Schwarzmarktwert von 6700...000 DM wurde heute auf dem Frankfurter Rhein-Main-Flughafen von Beamten des Bundesgrenzschutzes sichergestellt." (Schall durch das Rundfunkempfangsgerät) Gerne hervorgekehrt und mit Inbrunst von kulturindustriell am Geschäft Beteiligten skandalisiert, wird die ach so hohe Gewinnspanne. Wie weiter oben schon angeklungen, ist mit außerordentlichem Reichtum, trotz steuerfreien Einkommens, auf fast allen Ebenen des Handels Essig. Ein Kokainhändler, deutscher Staatsangehöriger der im Kilogrammbereich tätig ist und detailliert einem Hamburger Kriminologen Auskunft gab, beziffert z.B. sein Nettomonatseinkommen inklusive der Zulage, die in seinem kleinem Dealerring nur er, als Schmuggeler kriegt, auf 10.000 DM; gerade mal höhere Einkommensgruppe selbst in der Zeit, in der es bislang für ihn am besten läuft. Er hat keine Altersversorgung oder ähnliche soziale Sicherungssysteme, große Probleme, sein Geld auf der Bank anzulegen, hat keine große Aussicht auf kontinuierliches Einkommen, ist sozial stigmatisiert, erleidet extreme Nervenanspannung, ja, hat nicht selten aufgrund der staatlichen Übermacht gar mit Paranoia zu kämpfen und trägt bei jedem neuen Geschäft das Risiko, abgegriffen und eingeknastet zu werden. Letztgenanntes Vergütungsprinzip findet in der Legalwirtschaft unspektakulär in Form der Risikozulage für gefährliche Jobs seine Entsprechung und genügt den Käufern üblicherweise als Argument.
Überhaupt läßt sich sagen, daß nicht die Profite an sich immens sind, sondern - das mag manchen stören- der illegale Markt lediglich blind gegenüber Qualifikationsmaßstäben der ordentlichen Gesellschaft ist. Der Drogenmarkt ist für Kids aus South-Central, Hilfsarbeiter und arbeitslose AkademikerInnen eine Chance, eigenständiger Unternehmer zu sein und für bestimmte Zeit ein gewöhnliches Einkommen trotz Offenbarungseiden und SCHUFA-Eintrag zu haben.

Ethnifizierte Parallelwirtschaft und grenzenloser Staatsterrorismus
Wer an äußeren Merkmalen erkennbar, sich der Selbstverständlichkeit, in der kapitalistischen Metropole leben zu dürfen, ohne dies nicht sicher sein kann, ist noch der zuverlässigste Geschäftspartner für den illegalen Deal, zumal diesem Staat bei der Jagd auf Asyldealer (6) anscheinend jedes Mittel recht ist.
Nachdem in strukturell rassistischer Manier Asylsuchende beim Eintreffen kaserniert und daraufhin den kruden Bestimmungen des Asylbewerberleistungsgesetzes unterworfen werden, gelangen viele abschließend im legalen Jobmarkt gerade noch zum Kloputzen. Deutsch first.
In dieser Konfrontation mit rassistischer Gesellschaft zwangsläufig zurückgeworfen auf diejenigen, die genau wie sie nicht akzeptiert werden, wird die "Ethnie" zur Familie, die für die diskrete Parallelwirtschaft taugt. Als unbemittelte Genuß-, also Geldbedürftige sind diese Menschen für den Handel mit illegalen Drogen reif, was zynischerweise im Umschlag den Metropolenbürgern zur Bestätigung ihres Bescheidwissens über die niedere Moral der Fremden gereicht. Die Bestrafung der Bestraften zu gewährleisten, ist Aufgabe der Polizeibeamten, die jene oftmals sowieso verachten, aber zumindest aus der Praxis um deren Scheißsituation im Rechtsstaat wissen.
Wenn in Berlin schon mal als illegale Zigarettenhändler festgestellte Vietnamesen ermordet werden, braucht es kein Untersuchungsverfahren mehr, damit sich allen zweifellos ist, daß sie Opfer "ethnieninterner" Machtkämpfe wurden. Nach Angaben deutscher Dealer wird in gängiger Polizeipraxis bei "gemischtrassigen" Aufgriffen den Ausländern die gesamte sichergestellte Menge gutgeschrieben. Besonders menschenverachtend ist die Bullenpraxis in Bremen und Frankfurt, wo einige dunkelhäutige Menschen beim Verschlucken von "Kokainbömbchen" im Falle des Auftauchens von Polizei beobachtet wurden. Um dem Stoff, dem Argument gegen die Anwesenheit der "Asyl-dealer" habhaft zu werden, wurde weder eine richterliche Anordnung, die gesetzlich vorgeschrieben ist, noch schonende Verfahren wie Abführmittel mit stationärem Aufenthalt gewählt. In der Praxis, der sich Städte wie Hamburg aus humanitären Erwägungen verweigerten, wurden in Bremen durch die Recherchen des Anti-Rassismus-Büros über 400 Fälle von brutalen Behandlungen mit einem medizinisch umstrittenen Brechmittel bekannt, die gemein hatten, daß die Opfer ausschließlich Schwarze waren, keine medizinische Nachsorge stattfand, sondern die Mißhandelten auf der Straße ausgesetzt wurden, die Personen von den Polizisten rassistisch beschimpft und durch die Polizeiärzte als biologische Verfügungsmasse behandelt wurden. In den meisten Fällen wurde wunderlicherweise sehr wohl die Magenschleimhaut, aber keine illegalen Substanzen erbrochen. Diese Vorkommnisse wurden von Staatsseite lange Zeit en tout bestritten, dann in Teilen offen, in der ganzen Dimension nolens volens durch Initiierung einer gesinnungsbetonten Gegenkampagne konzediert. Breiter Protest Fehlanzeige, wer will schon was mit Schwarzen, Autonomen und Dealern zu tun haben. Ausreichend zur Festnahme war und ist offensichtlich, daß Schwarze, die sich in Szenevierteln aufhalten, überhaupt besitzend sind (Trainingsanzug, goldene Uhr, u.ä.). Ein Dealer ist ein Schwarzer, ist ein Dealer: Da gilt der Fall der Unschuld als deren Rafinesse und ihr leibliches Wohlergehen, wenn es schon nicht stört, dann zumindest als egal.

Über VerschwörungstheoretikerInnen und die Dynamik der Hatz
Zum Abschluß zusammengesetzt ergibt sich ein außergewöhnlich kompaktes Feindbild Dealer, daß in seiner strukturellen Beschaffenheit bemerkenswert viele Analogien zur antisemitischen Stereotype der Moderne aufweist, was Erklärungsmacht für massenbegeisternde Dynamik insofern beinhalten kann, als daß sich der moderne Antisemitismus von seinen historischen Grundlage, den Juden als kultureller Einheit, losgelöst hat.(7)
Der analoge Ausgangspunkt beider Feindbilder liegt darin, die Ursache von Mißständen in etwas Besonderem zu lokalisieren, so z.B. die Weltwirtschaftskrise 1928 ff. nicht im an sich prekären Verwertungsprozeß, sondern in herbeihalluzinierter jüdischer Allmacht, die "Drogentoten" und Opfer in den Anbauländern nicht in der Prohibition, sondern im niederen Wesen der Händler.
Weiter gleichen sich die Wahnbilder in den Ideen von der Bedrohung durch heimatlose Fremde, deren Profit Wucherei sei. Beide Gruppen gelten hierüberhinaus als Repräsentanten der Zirkulationssphäre, wo kein Wert geschaffen werde, sondern raffend auf Kosten der Anständigen der Luxus bestritten werden soll. Sie säßen in den nüchtern herbeihalluzinierten Machtzentralen der Welt, über den nationalen Regierungen, von wo aus sie das Gemeinwesen durch ihr intelligent-durchtriebenes, verborgenes und steuerfreies Geschäft schädigen. Dies sind identische Segmente, sowohl der dealerfeindlichen, alswie der antisemitischen Planke, des ticketförmigen Denkens. (8)
Auch in der Linken geistern die Verschwörungstheorien, die den gesamten Heroin-Handel und Heroin-Boom der 60er als eine Strategie der Counterinsurgency (Anarchist Academy: "Heroin in die Ghettos"), des CIA, entlarven. Ein Punkt der aber historisch - wenn vorhanden - von abseitiger Bedeutung bleibt. (9) Gleichwohl schnappten dieses Vorurteil auch einige deutsche Autonome begierig auf, schrien und schrieben "Dealer verpißt euch" an die Wände ihrer Häuser. Sie wollten sicher dokumentiert über Fälle in zehn verschiedenen deutschen Großstädten wissen, bei denen staatlich beauftragte Dealer Heroin an scheinbar leicht verführbare Fighter verjubelten. Realiter die vielleicht skurrilste Ausformung des revolutionären Schwertwetzens gegen Unmoral und (Gegen)Wehrkraftzersetzung. Bürgerliche Journalisten halten sich eher an Verschwörungstheoretisches ihrer Couleur: So wissen Sie z.B. beizutragen, daß die neuerliche Beliebtheit von Kokain, auf eine Übereinkunft der nordamerikanischen Mafiabosse mit den südamerikanischen Kokakönigen - in der Not ob der neuen Konkurrenz durch Weckamine und LSD getroffen - zurückzuführen sei. Auch die liberale FR bekennt sich zur bedingungslosen Unterstützung des kathartischen Schlages gegen die "Hydra" der "Kapos" (!!?) in Südamerika und die PKK-Heroin-Mafia-KurdInnen vor Ort.
Drogen sind keine Ausgeburt der Hölle, Dealer nicht paramilitärische Agressoren der "freien Welt". Doch sie sind ein glücklicher Fund für staatliche Politik, so ausgezeichnet gar, daß sie zu den wenigen Feindbildern zählen, die am Ende des Kalten Krieges als Feindbild an Popularität gewannen. Es wird Zeit, die Ideologie abzuschaffen.
1 Warum dies alles falsch ist, üblicher Grund für den Konsum sämtlicher Drogen zunächst einmal Lustgewinn darstellt, dessen Hintergründe zumindest den Staat nichts angehen, warum der Grund für die Existenz von Junkies und für ihren Tod herrschende Prohibitionspolitik ist, soll hier der Kürze halber nur ungenügend einerseits durch Aufforderung zur Reflexion auf die Effekte amerikanischer Alkoholprohibition, sowie auf Heroin- und KokainkonsumentInnen in den 20er Jahren, andererseits durch den Verweis auf den - hier vorangehenden - Text "Weg mit den Drogenverboten" abgetan sein.
Keine Droge senkt an sich die Integrierbarkeit ihrer Konsument-Innen in den Verwertungsprozeß. Erst in einer Gesellschaft, in der Verwertbarkeit zum fetischhaften Selbstzweck wird, erscheinen die Drogen als das ebenso absolute Gegenbild dazu. Der Irrtum ist in der Linken genauso verwurzelt. Jahrzehntelange Alkoholabstinenzdebatten der frühen ArbeiterInnenbewegung und insbesondere die Genußfeindlichkeit so mancher marxistisch-leninistischer Revolutionsmoral folgten ebenso diesem Raster.
2 Triebfeder der Erfindungen soll vorgeblich die Maximierung des "Suchtpotentials" darstellen. Eine schaurige Vorahnung auf eine zukünftige Fusion von Kämpfern gegen illegale und solchen gegen legale Drogen möge die LeserInnen beim Feststellen dieses Nexus ergreifen, wo derselbe Vorwurf der US-amerikanischen Anti-Raucher-Bewegung jüngst einen nachhaltigen Kick einspielte.
3 Als da nur beispielsweise wären: Richtige Relation des Investitionsvolumens zur jeweiligen Absatzsituation, Geschick im Umgang mit Kunden (Takt, keine unverhältnismäßigen Versprechungen bezüglich der Qualität des Stoffes), Gewinne nicht in höheren Lebensstandard, größere Partys, sondern sorgsam, rationell in angemessene Reinvestitionssumme und Profit splitten.
4 In der Dritten Welt hingegen, so zynisch es klingt, sind Mord und Totschlag in vielen Bereichen gängig.
5 In Reaktion auf Medienmeldungen dementiert die Polizei gar regelmäßig die Vorkommnisse.
6 Begriff, der in der Schweizer Debatte rund um die Asylgesetzabschaffung geprägt wurde und ihren angeblich inneren Zusammmenhang mit "Drogenfluten" bezeichnet. Als Junktim auch in der regierungsamtlichen Begründung für das "Gesetz zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität" in der BRD wiederzufinden.
7 Diesen Prozeß belegt das antisemistische Klima im real sozialistischen Polen, in dem kaum noch Juden lebten, wohl am eindruckvollsten.
8 Siehe zur Ausführung: Horkheimer/Adorno: Dialektik der Aufklärung, insbes. Elemente des Antisemitismus, sowie Moishe Postone: Nationalsozialismus und Antisemitismus, in: Dan Diner: Zivilisationsbruch.
9 Die Initiierung des Heroinbooms liegt in erster Linie bei den Verantwortlichen des Vietnamkrieges (abhängige Veteranen) und den psychonautischen Energien subkultureller 68er. Und obwohl in Vietnam dunkelhäutige US-Amerikaner in der Regel die Scheißjobs kriegte,n geht die Rechnung, sie seien damit Teil des Gesamtkonzeptes der Aufstandsbekämpfer, nicht auf. Im Gegenteil fanden sich in den Schwarzenghettos der 50er und frühen 60er Jahre, also in der Zeit vor den Aufständen, die ersten KonsumentInnen von Opiumprodukten.