31.10.2000 PDF

Bürgerliche Ehe und Familie

Dieses Referat wendet sich gegen die falsche Vorstellung, daß Ehe und Familie oder einfach nur eine Zweierbeziehung ein Reservat vor den Auswirkungen von Gesellschaft und Politik bildet. Als zu untersuchenden Gegenstand nehme ich mir Ehe und Familie vor, weil sie als die Keimzelle der bürgerlichen Gesellschaft mit dazu beiträgt, die Verhältnisse der kapitalistischen Produktionsweise zu reproduzieren. In der Form der Ehe findet sich ein festgelegtes Verhältnis, in dem sich die Geschlechter zueinander verhalten sollen. Dieses Verhältnis wird sowohl durch geltendes Recht und durch die falschen Vorstellungen der Leute vorgefunden und gleichermaßen beibehalten.
Liebe, Sex und Familie hält man gemeinhin für das, was ganz privat ist und sein soll. Wen ich liebe, ist tatsächlich eine freie Willensbestimmung — interessant ist, wie das in der bürgerlichen Gesellschaft abläuft. Bei der Betrachtung von Ehe und Familie beschränke ich mich auf die Umstände der bürgerlichen Gesellschaft unter kapitalistischer Produktionsweise. Einen historischer Abriß, der ausführlicher sein müßte als ich es hier leisten kann, spare ich aus.
Daß Eheschließung und die Gestaltung des Ehe- und Familienlebens „Privatsache“ der Beteiligten ist, war nicht immer so. Seit der Romantik ist die Ehe der Ort, an dem die „wahre Liebe“ ihre Bestätigung finden soll. Die Liebesheirat ist eine Errungenschaft der bürgerlichen Gesellschaft. Und auch wenn die Scheidungsraten steigen: Die monogame heterosexuelle Zweierbeziehung gilt als die Norm des bürgerlichen Zusammenlebens. Diese Zweierbeziehung soll dann in der Ehe münden, bleibt aber auch ohne Heirat strukturell der Ehe ähnlich. Die Liebe als ein Gefühl soll mit der Ehe gekoppelt werden: Ein Gefühl wird in die Form einer Institution gebracht. Auf das Gefühl der Liebe läßt sich keine Ewigkeit geben, aber durch die Institution Ehe wird aus der Beziehung ein berechnendes Verhalten zueinander auf Lebenszeit gemacht.


In diesem Referat soll untersucht werden, welches Interesse der Staat an der Institution Ehe und Familie hat, und warum sich diese Institution als Ort der individuellen Reproduktion erhält. Der Staat muß niemanden zum Heiraten zwingen und trotzdem erhält sich die Ehe als individuelle Norm und scheinbares Bedürfnis der bürgerlichen Subjekte. Früher war Ehe und Familie eine ökonomische Gemeinschaft, die nicht unbedingt an Liebe gekoppelt war. Was die Liebe „aushalten“ muß, ist ein wichtiger Faktor geworden, denn mit den individuellen Anforderungen der Reproduktion fertig zu werden ist einfacher, wenn es mit einer emotionalen Verbindung geschieht. Dementsprechend ist der Anspruch der Ehe gestiegen: Harmonisches Miteinander und Geborgenheit ist das Ideal, an dem sich die Ehe zu messen hat. Probleme, die aus der individuellen Reproduktion hervorgehen, werden zu einem individuellen und privaten Problem gemacht, obwohl sie eigentlich gesellschaftlich sind. Dahinter steckt eine Verklärung der Verhältnisse: Erklärt man die Ehe als das immer Private und Intime, schließt man eine generelle Kritik aus und macht das Problem zu einem scheinbar rein individuellen Problem. Und genau das ist das Ideologische.
Man denkt sich in der Liebe frei, ist aber dennoch an gesellschaftliche Bedingungen gebunden. Anfangen tut das damit, daß man für seine eigene Reproduktion sorgen muß: Man muß arbeiten gehen (die Glücklichen, denen das erspart bleiben kann). Und dann ist man auch schon drin in der Tretmühle der kapitalistischen Produktionsweise: Man muß seine Arbeitskraft gut verkaufen, denn schließlich gibt es auf dem Arbeitsmarkt viele. Immer nett im Kundenverkehr, vom Chef auch mal einen Rüffel einstecken, immer kuschen müssen und nie das Band abstellen zu können — den Sinn für sich, außer dem schnöden Lohn, den man nun mal zum Überleben braucht, findet man in der Lohnarbeit nicht. Natürlich lügen sich auch viele in die Tasche: Sie versuchen sich mit dem Betrieb zu identifizieren oder auch mit dem Beruf, weil man sich die Ausbildung zu seiner Qualifikation ganz seinen Neigungen gemäß ausgesucht hat. Was immer man sich so an falschen Vorstellungen zu eigen macht, arbeiten gehen zu müssen, bleibt ein aufgeherrschter Zwang.
Ein Paar, besonders eines, das den Ehebund eingegangen ist, steht nicht in Konkurrenz zueinander: Sie bilden eine Gemeinschaft, in der sie sich den sonstigen Konkurrenzkalkulationen der kapitalistischen Gesellschaft ausnehmen. Weil man draußen in der feindlichen Welt das Glück nicht finden kann, weil Konkurrenz herrscht, sucht man es zu Hause: Da richtet man sich schnuffelich ein und macht sich wieder fit für den nächsten Arbeitstag; da sucht man das Glück in einer trauten Zweierbeziehung.
Wenn man schon den ganzen Tag arbeiten geht, dann will man sehen wofür. Daß man einfach leidlich dahinlebt, reicht da nicht. Bei der Arbeit herrscht der Zwang und herrscht die Konkurrenz. Da darf man nicht sein wie man will, während man sich zu Hause nicht beweisen muß, weil dort andere Maßstäbe gelten.
Weil man die Zeit gern zu zweit verbringt, zieht man vielleicht zusammen, denn bei acht Stunden Arbeit könnte man dann wenigstens die Freizeit zusammen verbringen. Das Glück dann tatsächlich in der Freizeit zu suchen und nicht in der Arbeit, ist eine noch recht neue Sache. In der ideologischen Vorstellung, warum man Kinder kriegen sollte werden die Blagen zum „lebenden Beweis der Liebe“. Früher galt es eher, einen „Stammhalter“ zu finden, einen der Haus und Hof erbt und dafür sorgt, daß Hab und Gut nicht verfällt, sondern in der Hand der nächsten Generation fortbesteht. Der Stellenwert des Erbrechts ist nicht unbedeutender geworden und dennoch wird sich auch dieses Verhältnis als eine Tat aus Liebe übersetzt.
Der Staat hat an der Ehe ein Interesse. Als ideeller Gesamtkapitalist ist es seine Aufgabe, die Reproduktion einer arbeitsfähigen Bevölkerung zur Aufrechterhaltung der kapitalistischen Produktionsweise und des gesamten gesellschaftlichen Lebens zu regeln. Dazu gehört auch, daß der Staat ein gesteigertes Interesse an immer neuen Nachwuchs hat, damit auf eine ausreichend große und qualifizierte Menge Menschenmaterial für die Produktion zurückgegriffen werden kann. Die Zurichtung der Menschen zu produktiven Gliedern der Gesellschaft erreicht der Staat einerseits durch die Einrichtung eines Bildungswesens und Schulpflicht und andrerseits durch einen Erziehungsauftrag an die Familie. Im Artikel 6 des Grundgesetzes heißt es: „1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung, 2.) Pflege und Erziehung der Kinder ist das natürliche Recht der Eltern und zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“
Aufgabe der Eltern ist also die Sozialisation des Nachwuchses, die Einführung der Kinder in Regeln und Normen des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Das soll in der Form der Kleinfamilie stattfinden, in der die gesamte individuelle Reproduktion ihren Ort hat. Damit auch immer ausreichend Nachwuchs produziert wird, räumt der Staat den Eltern finanzielle Privilegien ein wie Kindergeld und Kinderfreibetrag. Das Jugendamt als staatliche Instanz kontrolliert und überwacht die Aufzucht und Erziehung der Kinder. Es greift ein, wenn etwas schief läuft. Elternlose Kinder werden zur Adoption freigegeben und der Erziehungsauftrag ergeht an die Adoptiveltern. So braucht der Staat es nicht zu seiner Aufgabe rechnen, diese ordentlich zu betreuen und zu ernähren. Ein repressives Instrument der Bevölkerungspolitik ist der §218. Die Entscheidung über die Geburt eines Kindes darf nicht (oder nur eingeschränkt) die Mutter treffen, sondern diese trifft der Staat, indem er Abtreibung unter Strafe stellt. Die Frau darf nicht selbst über ihren Körper und ihre Lebensplanung entscheiden. Auch die aktuelle „Straffreiheit“ ist nur eine scheinbare: Weiterhin gibt es die Beratungspflicht und die medizinische Indikation, letztlich läßt sich der Staat die Mitentscheidung in dieser Frage nicht nehmen.
Durch den Lohn ist die materielle Grundlage der individuellen Reproduktion der Arbeiter gewährleistet. Der bürgerliche Ehevertrag ist wie jeder Vertrag einer zwischen formal Gleichen, der dazu dient, die Sphäre der Kleinfamilie formal aus der Konkurrenz herauszunehmen. Dem einzelnen wird der Schein von Sicherheit gegeben, sich auch dann reproduzieren zu können, wenn er seine Arbeitskraft gerade nicht verkaufen kann, weil die Reproduktion vom Vertragspartner mit getragen werden muß, wenn dieser gerade seine Arbeitskraft verkaufen kann. In der Ehe ist man um einen gemeinsamen Vorteil bemüht, man gibt den Standpunkt von Eigentümern untereinander auf. Ehe und Familie werden Mittel zur Bewältigung von Anforderungen und Pflichten. Diese Anforderungen treiben dazu, es praktisch zu finden, wenn einer von Zweien zu Hause bleiben kann, um günstigere Reproduktionsbedingungen zu schaffen.
In der individuellen Reproduktion findet eine Aufgabenteilung statt, die oft anhand der Geschlechter aufgeteilt wird. Da der Mann in der Regel der ist, der arbeiten geht oder gehen muß und die Frau dagegen die Hüterin von Haus und Herd sein soll, ist es auch der Mann, der abends zur Frau kommt und die wohlige Erholung erwartet, nachdem er den Tag über ausgebeutet wurde. Die Frau ist dann seine Reproduktionsgehilfin, sein Ruhepol und die Gegenleistung ist, sie und die Kinder finanziell zu versorgen, was meistens für sie schlicht heißt, im Haushalt den Mangel zu verwalten. Die Frau als Gebärende gilt nur bedingt einsatzfähig, deshalb schätzen kapitalistische Unternehmen die männliche Konstitution als ergiebiges Mittel der verschleißträchtigen Leistungsverausgabung. Das hängt aber nicht an den biologischen Notwendigkeiten, die noch recht klein zu halten wären (Schwangerschaft, Stillen und Wochenbett), sondern an ideologischen Vorstellungen mit denen man der Frau die Aufgaben der ewigen Hausfrau und Mutter zusprechen will: ursprüngliche Mutterliebe und die zu Schwache für das harte Leben jenseits von Küche und Schlafzimmer. So werden manche Funktionen zu geschlechtsspezifischen Eigenschaften der Personen gemacht, um sie so in bestimmte Aufgaben zu drängen.
Diese Rollenverteilung, in der der Mann als Familienernährer für die Produktion und die Frau für die Reproduktion sorgen muß, war sogar einmal gesetzlich festgeschrieben. Erst 1977 wurde der Begriff der „Hausfrau“ aus dem Gesetz gestrichen. Bis 1957 war der Mann befugt, ein von der Frau eingegangenes Arbeitsverhältnis zu kündigen. 1976 wurde ein Paragraph des BGB abgeschafft, wonach die Frau nur dann erwerbstätig sein durfte, wenn dies „mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar“ war. Wie nun genau die Rollenverteilung geschieht, ob nun der Mann oder die Frau arbeiten geht, ob das nun in der Form der Ehe oder als jeweils „Ledige“ abläuft — die in der Familie arbeitsteilig zu organisierende Aufgabe bleibt dieselbe.
Der Staat sorgt dafür, daß die individuelle Reproduktion im Privaten bestehen bleibt. Sonst müßte er den Bereich seiner sozialen Aufgaben ausdehnen. Ein Gewinn der Frauenbewegung ist z.B. die Einrichtung von Kindergärten. Doch trotzdem besteht dort immer wieder ein Mangel.
Aus einer Liebe aus der sich nicht gleich eine „for ever in love“ machen läßt, stiftet der Staat ein ewiges Verhältnis; einen Zustand, in dem sich zwei vertraglich zu ihrer Liebe bekennen und dieses Verhältnis per Vertrag zu einem Austauschverhältnis exklusiv und auf Lebenszeit festlegen. „Die Ehe wird auf Lebenszeit geschlossen. Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet“ (§1353, Abs.1, BGB). Der Begriff der ehelichen Gemeinschaft beinhaltet die Verpflichtung zu häuslicher Gemeinschaft, zum Familienunterhalt (durch Arbeit und eigenes Vermögen), zu lebenslänglicher Einehe, zu gegenseitiger Rücksichtnahme und zum Verzicht auf die Verwirklichung eigener Interessen zugunsten der Ehe.
Manche finden es vielleicht sogar toll, sich noch eine „außenstehende“ Instanz als Kontrollorgan in das Liebesverhältnis herein zu holen: Da wo sie sich selbst die Treue nicht schwören können, aber sie aus Eifersucht gern eine Treuegarantie hätten, schließt man einen Vertrag ab, der einen genau dazu zwingen soll. Beim genauem Hinsehen merkt man, daß auch der intimste Winkel bis ins Schlafzimmer hinein gesetzlich geregelt ist. Noch 1967 verlangte der Bundesgerichtshof von einer Frau, den ehelichen Beischlaf nicht teilnahmslos oder widerwillig, sondern in Opferbereitschaft und Zuneigung zu vollziehen.
Der Bestand der Ehe und Familie reproduziert sich durch seine eigenen Bedingungen. Familienmensch ist der Bestimmung nach jedes Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft. Der Familialismus, d.h. die Uminterpretation der Funktionalisierung der Individuen für die Kapitalreproduktion per Familie in ein Mittel zu ihrer Selbstverwirklichung (als Mutter, Vater, Kind) durch die Beteiligten selbst, ist für den Staat ein wichtiges Instrument zur Gewährleistung des sozialen Friedens und des politischen Zusammenhangs (des „Gemeinwesens“). Die Familienmenschen betätigen und bestätigen sich insofern als Staatsbürger. Sie setzen nämlich an sich selbst und aneinander, ihren lieben Nächsten, die durch Kapital und Staat erforderten Beschränkungen eigenhändig durch.
Mit der ökonomischen Abhängigkeit und der Koppelung mit Liebe wächst man auf, die kennt man, die haust sich ein. Intimität kann man nicht „nur so“ erfahren: Zusammenleben und viel teilen wird durch den Vertrag exklusiv und auf Dauer. Oft wird die Familienvorstellung auf ein Naturprinzip gebracht: Welcher Typ bin ich und welcher paßt entsprechend zu mir? Tips zur Partner- und Typberatung finden sich im Jugendjournal Bravo genauso wie der Hinweis aufs Prekäre: Man muß halt auch was einstecken, wenn man wen liebt. Und deshalb sollte man lieber erst mal „seine Erfahrungen machen“ und nicht gleich den Erstbesten heiraten. Und wenn es in der Ehe schief läuft gibt es ja immer noch die Eheberatung.
Einerseits hebt ein Ehepaar durch Vertrag die Konkurrenz untereinander auf, andererseits ist die Ehe durch diese Vertragsform natürlich nicht der Konkurrenz entzogen. Ganz im Gegenteil, denn konzipiert ist dieser Ehevertrag ja gerade auf sein Ende hin: Nämlich dann, wenn der Scheidungsrichter über die Besitzverhältnisse urteilt und das Jugendamt prüft, bei wem die Kinder bleiben sollen. Da ist mit dem Vertrag schon der Fall mitbedacht, daß ein Ehepartner arbeitslos wird oder sich scheiden lassen will. Auch wenn die Zuneigung weg ist, bleibt die Ehe. Es ist zwar möglich die Scheidung einzureichen, die dann nach offizieller Prüfung und langer Trennungszeit auch bewilligt werden kann, aber es bleibt trotzdem die Verpflichtung füreinander zu sorgen, d.h. Unterhalt zu zahlen.
Zu eigen macht sich ein Paar den Zweck seiner Ehe, wenn es die Anforderungen, die ihm die kapitalistische Produktionsweise aufherrscht, der Liebe wegen meistern will. Wenn die Partner aus und für ihre Liebe das auf sich nehmen, was die Produktionsweise ihnen an Gemeinschaftsleben abverlangt, dann machen sie den äußeren Zwang zum integralen Bestandteil der Liebe und des Willens. Das Paar erträgt die Mangelverwaltung, und dann kommt es eben nur darauf an, daß er das Geld nicht versäuft und notfalls sie die Doppelbelastung ertragen muß und auch mal arbeiten geht. Die Höhe des Lohns bestimmt dann doch darüber, wieviel Annehmlichkeit im Verkehr mit dem anderen Geschlecht möglich ist. Und wenn ein ständiger Mangel verwaltet wird, kommt es dabei oft zu Streit.

Bei diesem Text handelt es sich um ein Seminarreferat aus dem Jahr 2000