Über die Depression und den Zwang des Zurechtkommens
In den letzten Jahren hat sich in erstaunlicher Geschwindigkeit ein neuartiger Psycho-Boom etabliert. Was als Enttabuisierungsbewegung von Krisen und Belastungszuständen begann, ist längst zu einer völlig entpolitisierten Erklärung für das objektiv vorhandene Leid geworden. Insbesondere in sozialen Medien wird unter dem Stichwort der Neurodivergenz eine rückwärtsgewandte biologistische Erklärung für unterschiedliches psychisches Leid – von Depression über ADHS bis hin zu Borderline – geliefert.
Doch worin liegt die Attraktivität dieser Erklärung? Und vor allem: Worin liegt der wahre Kern des Leids?
Mit dem Workshop soll in keiner Weise in Frage gestellt werden, dass Menschen tatsächlich unter diversen psychischen und emotionalen Belastungszuständen leiden. Das man ständig überfordert ist, an sich zweifelt, unter Druck steht, Angst hat oder scheitert ist in dieser Gesellschaft nämlich gar kein Wunder.
Doch wie genau ist das Verhältnis von psychischer Krankheit und kapitalistischer Konkurrenzgesellschaft? Das soll Inhalt des Abends sein. Der Schwerpunkt wird dabei auf der Depression liegen.
Eine tragende Ideologie ist dabei die Behauptung wonach „jeder seines Glückes Schmied“ sei. Eine Grundlüge dieser Gesellschaft. Denn für den Großteil der vermeintlichen „Glücksschmiede“ ist die gesellschaftliche Realität doch recht ernüchternd. Sie steht im Widerspruch zu dem, was sie sich für ihr Leben mal erhofft und erträumt hatten. Kein Studienplatz oder nur in einer Scheißstadt. Trotz Büffelei im Studium nur miserable Jobs. Arbeiten unter scheiß Bedingungen für scheiß wenig Geld. Und so stellt sich für viele die Frage, woher das eigentlich kommt. Wenn die Welt doch voller Möglichkeiten ist, woran liegt es, dass ich nicht vom Fleck komme? Liegt es an mir? Bin ich unfähig? Zu blöd? Zu schwach? Zu wenig leistungsfähig? Statt die immer krasser werdenden Zumutungen zu kritisieren, wird das mangelnde Zurechtkommen als Krankheit definiert und so ins Unpolitische verschoben.